"Generation Life Ball": Ein Abschied, der keiner ist

Der Rathausplatz im Regenbogen-Look.
Der Rathausplatz im Regenbogen-Look. Reuters
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Das letzte „Fest des Lebens" ist gefeiert. Aber nicht ohne das nächste anzukündigen. Gery Keszler will „in den kommenden Wochen und Monaten" Gespräche mit Bürgermeister Michael Ludwig führen, damit „auf dem Erbe des Life Balls Gutes wachsen kann".

Er hatte schon emotionalere Auftritte, der Gery Keszler. Eigentlich ist seine Rede bei der Eröffnung des 26. Life Balls Samstagnacht sogar einer seiner nüchterneren. Vielleicht, weil er selbst ahnt, dass der endgültige Abschied von seinem „Kind" wahrscheinlich gar nicht so endgültig ist, wie er das seit Wochen in der Öffentlichkeit betont. Zu loyal ist die Fangemeinde des Charity-Events, zu groß seine Bedeutung für die Stadt Wien - und vor allem gegen die weltweite Ausbreitung von HIV und Aids. Wie kann es sein, dass so eine Veranstaltung keine Unterstützer und Geldgeber mehr findet? Vielleicht braucht es einfach nur einen gründlichen Neustart - und einen Gery Keszler, der sich etwas sagen lässt.

Bei ihm klingt die, man kann es durchaus so nennen, Kehrtwende dann so: „Wir werden sehen, was auf dem Erbe des Life Balls Gutes wachsen kann." Denn: „Wo Kraft, Kreativität und Idealismus ist und auf Visionen und Umsetzungsvermögen trifft, werden sich ganz neue Formen und Gefäße finden. Als Kinder einer neuen Zeit." Er werde jedenfalls wegen einer möglichen Fortsetzung des Balls „in den kommenden Wochen und Monaten" Gespräche mit Bürgermeister Michael Ludwig führen, der Life Ball sei schließlich eine „Erfindung von vielen Herzen" und sei gegen die Stille der Arroganz ein Chor der Lebendigkeit. „Wir waren und sind die Generation Life Ball."

Gänsehaut bei „Generation Life Ball"

Bei diesem Satz erntet er nicht nur den meisten Applaus, sondern erreicht damit auch, dass sich viele im Publikum spontan ansehen und umarmen. Der vielleicht intensivste, ehrlichste Moment der Eröffnung. Denn tatsächlich fühlen sich die meisten Gäste als Mitglied einer „Generation Life Ball" - und damit als Teil von etwas Großem, Besonderem im Kampf gegen eine tödliche Krankheit und für die Gleichstellung von sämtlichen sexuellen Orientierungen.

Und das, obwohl es Keszler geschafft hat, das ursprünglich als „Ball der Gleichheit" ins Leben gerufene Event im Laufe der Jahre zu einer der elitärsten Veranstaltungen der Welt mit unzähligen abgeschirmten VIP- und Backstage-Bereichen zu machen. Ob Keszler selbst diese Eigendynamik all die Jahre nicht wahrhaben wollte oder einfach nur gute Miene zum bösen Spiel machte, bleibt sein Geheimnis. In Reden und Interviews hielt er jedenfalls bis zuletzt an seinem Gleichheitsprinzip fest.

So wie er auch bei seiner Ansprache am Samstag erneut fast ausschließlich die Sponsoren dafür verantwortlich macht, dass der Life Ball nicht mehr finanzierbar sei. Nicht jeder, der seine Hand ausstrecke, tue das ohne Aussicht auf eine Gegenleistung. Nicht die Spur von Selbstkritik. Ist wohl Keszlers ganz eigene Art, die vergangenen Jahre und seine Rolle bei dem Event als One-Man-Show zu reflektieren. Einen Seitenhieb auf Ludwig gibt es auch. Er habe „über die Medien ausgerichtet", den Life Ball retten zu wollen. Keszler hatte zuletzt kritisiert, Ludwig habe Gespräche über die Zukunft des Balls verweigert.

Auch Ludwig hat im Übrigen eine eigene Art zu sagen, dass Wien den Life Ball auch weiterhin braucht, aber nicht unbedingt unter Keszlers Führung. Die „Idee des Life Balls" müsse bestehen bleiben, meint er in seiner etwas holprigen Rede. Seinen Beitrag dazu werde er leisten. Er brauche aber auch die „Hilfe der Menschen". Die Hilfe von Keszler und seinem Team erwähnt er nicht. Bereits im Vorfeld hatte er angedeutet, den Life Ball nur unter der Bedingung eines neuen Konzepts und mit neuen Leuten an der Spitze unterstützen zu wollen.

Direktoren, Dompteure und aufreizende Tiere

Zwischen den Auftritten der beiden Männer bietet die Eröffnungsshow für Paradiesvögel, Prominente und Selbstdarsteller jene extravagante Bühne, für die der Life Ball Weltruhm erlangte. Das Zirkus-Motto dominiert die Verkleidungen der meisten Besucher. Der Rote Teppich hin zum Rathaus ist schon ab 19 Uhr von Horrorclowns, Artisten, strengen Direktoren, Dompteuren, Trapezkünstlern und aufreizenden Tieren - mitunter auch an der Leine - bevölkert. „Es ist eine Schande, dass es zu Ende geht", sagt Roncalli-Chef Bernhard Paul. „Wenn es wieder einen Life Ball gibt, bin ich die Erste, die dabei ist", versichert seine Tochter Lili, die an dem Abend noch am Trapez schwingen wird.

Der Auftakt der Show ist düster: Nach der Verzweiflungs-Arie Bajazzo aus „I Pagliacci", gesungen von Piotr Beczala, zieht eine Gruppe von Horrorclowns, Freaks und Zirkusartisten gemeinsam mit den Debütanten mit Clownsköpfen über den Roten Teppich in Richtung Bühne. Begleitet werden sie von Moderatorin Conchita Wurst - die im Laufe des Abends unzählige Male das Kostüm wechselt - in einer Rocky-Horror-Picture-Show-Variante eines Zirkusdirektors, samt Tiefschutz mit Nieten. „Ja, die menschliche Spezies treibt wunderbare Blüten. Sehen Sie das Leben in all seiner Pracht", begrüßt der Direktor die Gäste.

Toleranz und Gleichberechtigung

Dann ändert sich die Stimmung: Nachdem Keala Settle mit der Outcast-Hymne „This is me" noch einmal die Botschaft von Toleranz und Gleichberechtigung in die Menge geschrien hat, erinnert der Life Ball an die Stonewall-Aufstände in New York , den Startpunkt der Lesben- und Schwulenbewegung vor 50 Jahren. Dann dominierten die Regenbogenfarben den Abend - auch, weil in Wien derzeit die Euro Pride, das größte Event der europäischen LGBTIQ-Community, stattfindet.

Auf die Bühne kommen für kurze Statements auch die US-Schauspielerin Katie Holmes und Burlesque-Tänzerin Dita von Teese. Außerdem unter den prominenten Besuchern: neben Stammgästen wie Uwe Kröger, Chris Lohner und Dagmar Koller auch der deutsche Musikproduzent Mousse T., Sängerin Aura Dione und die Schauspieler Gilles Marini sowie Alan Cumming. Die ganz großen Stars fehlen - wie schon in den vergangenen Jahren, als der Ball nach und nach an Strahlkraft verlor. Von Ex-US-Präsident Bill Clinton, einst Stammgast, gibt es immerhin eine Video-Botschaft.

„Somewhere Over the Rainbow"

Bei der Party im Rathaus, die wie gewohnt auf mehreren Etagen und Tanzflächen bis in die Morgenstunden dauert, ist die Stimmung so gut wie schon länger nicht mehr. Bei einigen, weil sie noch unter dem Eindruck des Abschluss-Acts stehen, den Lorna Luft, Tochter von Judy Garland, mit einer sensationellen Darbietung von „Somewhere Over the Rainbow" verantwortet – wie einst ihre Mutter im Film „Der Zauberer von Oz" aus dem Jahr 1939.

Bei anderen wiederum, weil sie wirklich glauben, dass es der letzte Life Ball sein könnte, und das große Finale gebührend feiern wollen. Aber bei den meisten, weil sie wieder die berechtigte Hoffnung haben, dass der spezielle Spirit des Life Balls, den sie im Laufe der Jahre mit ihren kreativen Kostümen, Ticketkäufen und ihrer guten Laune mitgeprägt haben, nicht sterben wird. Und sie diesen Spirit nächstes Jahr wieder erleben werden. Oder in einem anderen Jahr. Vielleicht auch, weil sie noch Keszlers Versprechen in den Ohren haben, mit dem einst alles begann und das nach Fortsetzung klingt, nicht nach Schlussstrich: „Wir werden uns hier am Wiener Rathausplatz wiedersehen: wenn es das Ende von Aids zu feiern gibt. Das Leben darf siegen."

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