Warum der Eiserne Vorhang zweimal fiel

27. Juni 1989: Alois Mock und Gyula Horn bei Klingenbach. Von der Macht der Symbole – und wie das Wirkliche hinter dem Vermeintlichen verschwindet.

Gut mannshoch ist er, der Betonquader, der sich an der frostbrüchigen Straße zwischen Sopron und Sankt Margarethen aus der Grenzflur schiebt. Ein wenig trotzig steht er da, knapp schon ungarisch, gerade nicht mehr österreichisch, wie einer, der sich seiner selbst nicht recht sicher ist und seine Verzagtheit hinter umso wuchtigerer Physis zu verbergen sucht. Immerhin, wovon die granitene Tafel an seiner dem Burgenland zugewandten Seite kündet, das ist historisch keine Kleinigkeit: „An dieser Stelle durchschnitten am 27. Juni 1989 die Außenminister Alois Mock für Österreich und Gyula Horn für Ungarn den sogenannten ,Eisernen Vorhang‘.“ Und irgendwie ist ja auch was Wahres dran: Tatsächlich haben die Herren Mock und Horn am 27. Juni 1989 den Eisernen Vorhang durchschnitten. Nur halt nicht „an dieser Stelle“, sondern gut sechs Kilometer weiter im Westen, nächst Klingenbach. Und tatsächlich waren die Herren Mock und Horn „an dieser Stelle“. Nur halt erst 15 Jahre später, um das zu feiern, was sie „an dieser Stelle“ gar nicht getan hatten.

Im Dezember 2007 durfte der nämliche Platz abermals für ein Fest mit memorialen Rückbezügen herhalten, anlässlich der Erweiterung des Schengen-Raums. Auf einem Foto sehen wir einen gebrechlichen Ex-Außenminister Mock nebst einem Damals-noch-Innenminister namens Platter über ein Foto des 1989er-Ereignisses gebeugt. Und wir dürfen uns aufs Wunderbarste imaginieren, wie sie wohl das Vergangene eines ganz anderen Ortes mit dem Gegenwärtigen, das sie hier umgab, zur Deckung gebracht haben mögen.

Ein, zwei ähnliche Events noch, dann wird der Quader an der frostbrüchigen Straße zwischen Sopron und Sankt Margarethen vielleicht selbst glauben, auf dem richtigen Platz zu stehen. Ein, zwei Events noch, und die Macht der Symbole wird auch hier die Fakten verdrängt haben, so wie schon jetzt die Wirklichkeit jenes 27. Juni 1989 hinter dem Vermuteten, das Tatsächliche hinter dem Vermeintlichen verschwunden ist.

Februar 1989. Markus Geiler hat genug. Dass der 22-jährige Leipziger als Theologiestudent für das SED-Regime ein „hoffnungsloser Fall“ ist, daran hat er sich wie viele andere hoffnungslose Fälle längst gewöhnt. Woran sich er und die anderen nicht so recht gewöhnen wollen: dass in manche realsozialistische Bruderstaaten mittlerweile beträchtliche Bewegung gekommen ist, während der Arbeiter- und Bauernstaat in Paralyse verharrt. Der „Ostblock“ ist, spätestens seit Michail Gorbatschow im März 1985 sein Amt als Generalsekretär der KPdSU angetreten hat, kein Block mehr – und während im Westen noch kaum einer an irgendwelche neuen Realitäten im sowjetischen Machtbereich glauben will, werden die, so unscheinbar sie sein mögen, im Osten umso genauer wahr- und auch für wahr genommen.

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