World Snail Racing Championship: Geschwindigkeit ist relativ

Britische Tradition: Die World's Snail Race Championship in Brighton im Jahr 1969.  Auf der Schleimspur zum Salatpokal.
Britische Tradition: Die World's Snail Race Championship in Brighton im Jahr 1969. Auf der Schleimspur zum Salatpokal.(c) Getty Images (J. Wilds)
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Wie jeden Sommer wird am 20. Juli bei der World Snail Racing Championship im englischen Congham die schnellste Schnecke der Welt gekürt: Ready, steady, slow!

Meist zur Freude der Kinder lässt man Weinbergschnecken um die Wette laufen. Im Elsass gibt es dazu extra Schneckenfeste. In Bielefeld findet jeden März das Dornberger Schneckenrennen statt. Zum sportlichen Ernst wird der Spaß im englischen Congham, wo am 20. Juli bei der alljährlichen World Snail Race Championship die schnellste Schnecke der Welt gekürt wird.

Seit fast 60 Jahren ist das kleine Dorf Congham zwei Autostunden nördlich von London Austragungsort der Weltmeisterschaft in dieser seltenen Disziplin. Etwa 240 menschliche Bewohner zählt die Gemeinde. Die Zahl der Sportschnecken, die hier leben, geht möglicherweise in den vierstelligen Bereich. „Jeder hier hat mehr als eine“, weiß Hilary Scase, die 84 Jahre alte Pressesprecherin des Events. Wie es zu dem Rummel kam und wann er angefangen hat, ist längst vergessen. Aber wichtig sei das Rennen hier für alle. „Wer den Pokal gewinnt, der ist schon wer“, sagt Hilary. Thomas Vincent etwa war neun, als seine Schnecke Schumacher siegte: „Nun habe ich mein Lebensziel erreicht,“ sagt er.

Am Start: Mehr als 130 Sprinter

Wie im Vorjahr, so erwartet man es auch heuer: Schon bevor der erste Startschuss fällt, ist der korrekt gestutzte Rasen auf Conghams Cricketfeld mit Publikum gefüllt. Nicht nur das komplette Dorf ist auf den Beinen. Auch viele Weichtierfreunde aus der Umgebung sind da. Besucher und Teilnehmer aus anderen Grafschaften sind bereits in der Kategorie „Von weiter weg“ erfasst. Dazu rechnet man auch die internationalen Gäste: Zuletzt waren das drei Chinesen, ein paar Schotten, Deutsche und ein Tscheche sowie ein Teilnehmer von den Weihnachtsinseln.

Während der Racing-Master Neil Riseborough und seine Assistentin die Wettkampfstätte vorbereiten, bilden sich an vielen Stellen Menschentrauben. Ein Star ist Herbie II, der Sieger 2017, sein Eigentümer, Colin Voss, und dessen Familie, zu der auch zehn Gefleckte Weinbergschnecken (Helix aspersa) gehören. Vielen Tieren hat man bunte Tupfen oder Kringel auf das Schneckenhaus gemalt – zur besseren Erkennbarkeit. Zudem bekommt jeder Sprinter eine Nummer aufgeklebt. Über 130 gehen an den Start. Die Arena ist ein runder Tisch. Darauf liegt ein weißes Tuch mit drei konzentrischen Kreisen. Der kleinste in der Mitte ist Start-, der äußerste die Ziellinie. Ihr Abstand beträgt 33 Zentimeter. Damit es richtig flutscht, wird die Streckendecke vor jeder Runde mit Wasser nass gemacht.

Die Spannung steigt. Die ersten Läufer sind im Startfeld, einer rennt gleich los. Ein anderer rutscht auf seiner Schleimspur hin und her. Immer wieder muss der Wettkampfleiter die Ausgangspositionen korrigieren. Als er alle Teilnehmer korrekt zurechtgerückt hat, ruft Neil: „Ready, steady, slow!“ – und ab geht die Schneckenpost. Die Hörner ausgefahren, den Kriechfuß von der Nase bis zur letzten Muskelspitze angespannt und durchgestreckt, ziehen sie sich samt Gehäuse selbst über den Tisch. Wie durch eine unsichtbare Macht gelenkt, streben tatsächlich alle Schnecken die äußere Linie kurz vor der Tischkante an. Na ja, zumindest die allermeisten und den größten Teil der Zeit. Da wird auch einmal gewartet und verschnauft. Einige geben auf und kehren um. Dafür kämpfen die wahren Helden umso erbitterter. Stellt sich einer in den Weg, wird er einfach weggeschubst oder im wahrsten Wortsinn übergangen. Manch einer schummelt und bleibt gleich oben sitzen – in der Hoffnung, dass es keiner merkt. Das Publikum zeigt sich begeistert.

Zahlreichen Vorrunden folgt das Finale. 2018 war es Schnecke Larry, die die 33 Zentimeter in traumhaften zwei Minuten 47 Sekunden bewältigte und damit den Sieg und den begehrten Salatpokal errang. Ihre Besitzerin, Tara Beasley aus Castle Acre bei Swaffham, war überglücklich. Denn im Vergleich zu vielen Konkurrenten war Larry völlig untrainiert. Erst in der Nacht davor hatte sich Tara überlegt, am Rennen teilzunehmen, war in den Garten gegangen, hatte Larry gefunden und zur Rennschnecke gemacht: „Er schien kräftig und beweglich zu sein. Ich nahm ihn mit ins Haus und setzte ihn auf eine Scheibe Gurke.“

Rekord: Zwei Minuten

Manchen ging es, wie Hilary, dann doch nicht schnell genug. „Sie konnten nicht alles geben“, kommentierte sie. „Es gab zu viel Wind.“ Den bisher ungebrochenen Weltrekord – glatte zwei Minuten – hatte 1995 die Schnecke Archie aufgestellt. Doch Titel und Trophäen hin oder her: „Letzten Endes geht es um den Spaß“, sagt Neil. Schließlich soll sich bei diesem Sport keiner zur Schnecke machen. Und Geschwindigkeit ist sowieso sehr relativ im verträumten Norfolk. In der Tat hat die Region das Zeug dazu, in ihr die Langsamkeit zu finden (Tipps siehe unten).

Das Restaurant The Rose and Crown in Snettisham zum Beispiel zelebriert sie mit Slow Food. Dennoch, L'escargot sucht man wie auch andernorts an Englands Nordseeküste vergebens auf der Speisekarte. Kommentar der Wirtin: „Wir essen keine Schnecken. Wir lassen sie laufen.“

NORFOLK, ENGLANDS NORDOSTEN

Bewerb: 20. Juli, www.snailracing.net

Hotels: Bank House, King's Lynn: Boutiquehotel in Bankgebäude aus dem 18. Jh., Blick auf den Great Ouse nah der Mündung in The Wash. Brasserie in der Schalterhalle. www.thebankhouse.co.uk

B&B The Rose and Crown, Snettisham: ländlich-modern, Pub mit Nordseeküche, Schlemmerfrühstück im Garten, www.roseandcrownsnettisham.co.uk

Essen: Cromerkrabben, Nordseehummer, Brancaster-Miesmuscheln, Stiffkey Cockles oder Stewkey Blues (blaue Herzmuscheln) sind Norfolks Delikatesse. Tipp: Rocky Bottoms nahe Cromer. www.rockybottoms.co.uk

Fish and Chips isst man in Norwich und Great Yarmouth am besten auf dem Markt. Und sonst bei Eric in Drove Orchards, www.ericsfishandchips.com

Touren: Boottrips zu Seehunden und Kegelrobben, www.beansboattrips.co.uk

Badeort Hunstanton: Klippen, Leuchtturm, Meeresaquarium, Sea Life Centre, www.visitsealife.com/hunstanton

Norfolks riesiger Vogelreichtum ist ein Hotspot der Birdwatcher. Touren mit Chris Mills, www.norfolkbirding.com

Viele schöne Strände, z. B. in Great Yarmouth, Brancaster, Horsey, Waxham, Cromer und Hunstanton

Schlösser/Ruinen:Sandringham, www.sandringhamestate.co.uk

Infos:www.visitbritain.com

Compliance: Die Reise wurde von Visit Britain unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2019)

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