Die mentale Komponente der Meisterleistung

Novak Djokovic und Roger Federer
Novak Djokovic und Roger FedererREUTERS
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Novak Djokovic zeigte bei seinem Wimbledon-Sieg über Roger Federer in den entscheidenden Momenten sein bestes Spiel, obwohl er das Publikum gegen sich hatte. Der Schweizer ist umgekehrt überzeugt, aus dem verpassten Märchen gestärkt hervorzugehen.

London/Wien. Der Triumph von Novak Djokovic über Roger Federer in Wimbledon 2019 wird nicht nur als längstes Finale der Turniergeschichte eingehen. Zu reich an Wendungen und Dramatik, an Zahlenspielen, Geschichten und Emotionen war diese denkwürdige Partie über fünf Sätze und 4:57 Stunden. Vom „Match des Jahrhunderts“ schrieb die „italienische Gazzetta dello Sport“, die spanische „Marca“ bezeichnete es als „monumentales Finale“ und die französische „L'Equipe“ erklärte die beiden Tennisprofis kurzerhand zu „Super-Helden“.

Die Rollenverteilung im All England Lawn Tennis and Croquet Club war jedoch eindeutig: Die Sympathie des Publikums in dieser faszinierenden Atmosphäre am Sonntagabend gehörte Federer, Djokovic wurde zwischenzeitlich sogar ausgebuht. Der 32-Jährige blendete dies nach eigenem Bekunden alles aus und wandelte in seiner Vorstellung die Anfeuerungen um. „Wenn die Menge Roger ruft, höre ich Novak“, sagte der Serbe und lachte. Mit mehr Ernst erklärte er dann: „Es war mental die härteste Partie, die ich jemals gespielt habe.“

Als erster Spieler seit 71 Jahren, seit einem gewissen Amerikaner Robert Falkenburg, gewann der Weltranglistenerste Djokovic nach Matchbällen des Gegners das bedeutendste Tennis-Turnier. Federer ließ umgekehrt sein Wimbledon-Märchen aus den Händen gleiten und zeigte sich mit etwas Abstand emotional betroffener, als es bei der Siegerehrung den Anschein gemacht hatte. „Ich habe das Gefühl, dass ich eine unglaubliche Möglichkeit verpasst habe“, sagte der 37-Jährige. „Diesmal bin ich eher wütend als enttäuscht oder traurig.“ Schließlich sprachen alle relevanten Statistiken für den Schweizer, mit Ausnahme der Tiebreaks – ausgerechnet im letzten Einzel kam erstmals die neue Regelung mit einem Tiebreak im fünften Satz beim Stand von 12:12 zur Anwendung. Vergebene Matchbälle gegen Djokovic haben für Federer eine unrühmliche Vergangenheit, auch bei den US Open 2010 und 2011 verlor er so jeweils im Halbfinale. Seit sieben Jahren wartet Federer auf einen Sieg gegen Djokovic bei einem der vier größten Turniere. „Ich bin gut darin, daraus stärker herauszugehen, denn ich möchte nicht traurig über ein eigentlich großartiges Match sein.“

Becker fordert mehr Respekt für Djokovic

Vier der vergangenen fünf Grand-Slam-Turniere hat Djokovic nun gewonnen und unterstrichen, dass er derzeit der beste Spieler ist, und mit jetzt 16 Triumphen Federer (20) und Nadal (18) im ewigen Rennen um die meisten Grand-Slam-Titel einholen könnte. Auch deshalb warb Boris Becker nachdrücklich um mehr Respekt für seinen früheren Schützling. „Jetzt, nach 16 Grand Slams, müssen die Leute erkennen, wie großartig Novak Djokovic ist“, sagte der BBC-Kommentator, der den Serben von 2013 bis 2016 trainiert hatte. Dessen Siegeshunger sei noch nicht gestillt, ist der dreimalige Wimbledon-Sieger Becker überzeugt: „Er ist schon einer der Größten aller Zeiten, aber er will der Größte aller Zeiten werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2019)

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