63. Filmfestival Cannes: Sterben für den Glauben

Xavier Beauvois.
Xavier Beauvois.(c) EPA (IAN LANGSDON)
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Frankreichs Filme dominieren den Wettbewerb. Xavier Beauvois rekonstruiert ein Massaker an Mönchen: ein Favorit für die Palme d'Or.

Ein wenig dezentes, aber sehr klares „Scheiß Frankreich!“ aus dem Munde deutscher Touristen erschallt in der sonst oft eher unverständlichen Kinocollage Film socialisme von Veteran Jean-Luc Godard, die am Montag beim Filmfestival Cannes vorgestellt wurde. Wiederholten Besuchern des Filmzirkus an der Croisette ist dieses Sentiment, wiewohl unfein, nicht ganz unvertraut. Alle A-Festivals sehen es als ihre Aufgabe, eine große nationale Auswahl in den Wettbewerb zu nehmen, was oft zu Verlegenheitslösungen führt. So blickt man den deutschen Filmen in der Konkurrenz von Berlin, den italienischen in Venedig und auch den französischen in Cannes stets mit etwas Skepsis entgegen: tatsächlich ein konkurrenzwürdiger Film oder doch nur ein Quotenkandidat?

Die Überraschung des heurigen Cannes-Wettbewerbs ist also die Stärke der französischen Auswahl: Nur drei Beiträge statt der üblichen vier, aber sie triumphieren inmitten schwächelnder Konkurrenz. Tournée,der sympathische, lockere Film von und mit Akteur Mathieu Amalric über eine US-Truppe von „New Burlesque“-Tänzerinnen auf Frankreichtournee sorgte für einen schwungvollen Auftakt. Bertrand Taverniers epischer und hochintelligenter Historienfilm La princesse de Montpensier überstrahlte mit seiner mitreißenden und letztlich schmerzhaft bitteren Gestaltung eines Dramas von Gewissen und Liebe das Staraufgebot außerhalb des Wettbewerbs am Wochenende. Und Mittwochfrüh servierte Xavier Beauvois mit seiner in der Pressevorführung heftig akklamierten Rekonstruktion eines Massakers an Mönchen einen starken Anwärter für die Goldene Palme.

Opfer islamischer Fundamentalisten

Beauvois' Film Des hommes et des dieux ist inspiriert von der aufsehenerregenden Entführung und Ermordung einer Gruppe Mönche im algerischen Tibherine durch islamische Fundamentalisten in den Neunzigerjahren, aber sein Zugang ist alles andere als spekulativ. Stattdessen lädt er ein zur Versenkung in den Lebensrhythmus einer Gruppe Zisterziensermönche, die in einem Kloster in Nordafrikas Bergen in Harmonie mit der muslimischen Gemeinschaft leben.

Das Singen von Chorälen und die geteilten, kargen Essen geben den Tagesablauf vor. Dazwischen leisten die Christen spirituellen Beistand und der alte Arztbruder (bewegend fragil: Michael Lonsdale) kümmert sich um die Kranken der Gegend. Bis ein jähes Massaker an Gastarbeitern die Eskalation fundamentalistischen Terrors ankündigt. Unsentimental und kraftvoll zeichnet Beauvois im Folgenden das Seelendrama: Das Angebot von Schutz durch die Armee lehnen die Mönche ebenso ab wie das Drängen der Behörden auf ihre Ausreise. Der zuständige Beamte wirft ihnen dabei westlichen Hochmut vor: Seine Landsleute würden vergeblich von der Flucht träumen.

Indessen tobt ein stilles, doch dorniges Ringen mit den inneren Ängsten unter den Ordensbrüdern. Die Glaubensfrage: Ist man bereit, für die Prinzipien zum Märtyrer zu werden? Gegen die unbarmherzig wachsende Bedrohung und die Seelenzweifel wappnen sich die Mönche durch spirituellen Zusammenhalt. In einer Ehrfurcht gebietenden Einstellung umkreist die Kamera die Brüder, während sie gegen den Lärm der Armeehubschrauber ansingen. Als sie still ihr letztes Abendmahl teilen, zu Tschaikowskis Musik aus dem Kassettenrekorder, streift ein seliger Glanz ihre Mienen.

Schauspielerpreis für Lambert Wilson?

Die Abschiedsbotschaft des Abts schließt mit einem empathischen „Inschallah!“ Ein Plädoyer gegen Extremismus und für jene Gemeinschaft der Religionen, für die die Mönche letztlich in den Tod gehen, im Nebel in weißer Winterlandschaft verschwinden. Dabei ist der Film von Beauvois frei von wohlfeiler Versöhnungsrhetorik: Die Entscheidung ist hart erkauft, nach sorgsamer Abwägung geistiger, menschlicher und politischer Faktoren. Des hommes et des dieux ist ein großer spiritueller Film gerade in seiner inbrünstigen Demut. Was Taverniers Wettbewerbsbeitrag säkular ausgestaltete, wird hier religiös behandelt: das Kino als Glaubensfrage. Und, um zu weltlichen Überlegungen zurückzukehren: Lambert Wilson, der in beiden Filmen eine Hauptrolle spielt (bei Beauvois den Abt), sollte ein Schauspielerpreis sicher sein, will man den Glauben an die Jury nicht verlieren.

INTERNATIONALE FAVORITEN

„Another Year“ (Mike Leigh) war unter den Wettbewerbsfilmen bisher Favorit der internationalen Kritik, das sollte sich nach der Aufführung von „Des hommes et des dieux“ (Beauvois) ändern. Regisseure wie Abbas Kiarostami und Kitano enttäuschten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2010)

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