Filmfestival Cannes: „Carlos“-Film: Terror in Wien

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Filmfestival Cannes bdquoCarlosldquoFilm Terror(c) Reuters (Eric Gaillard)
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Österreich-Bezüge in Cannes: Olivier Assayas' packendes Epos „Carlos“ und ein Wettbewerbshöhepunkt aus Thailand.

Das Lächeln von Ilich Ramírez Sánchez hätte ihn dazu gebracht, diesen Film zu machen, sagt Regisseur Olivier Assayas: Nachdem der als Carlos, der Schakal, berüchtigte Terrorist 1975 mit seinem Team den Anschlag auf das Opec-Hauptquartier in Wien verübt hatte und nach mehrtägiger Belagerung mit einem Flugzeug voller Geiseln nach Afrika entkommen war, erwies sich seine Operation dennoch als gescheitert: Bei den Verhandlungen in Algier musste Carlos einlenken, die geplante Exekution des Ölministers der Saudis wurde abgeblasen. Und dennoch verlässt Carlos den Flieger mit einem Lächeln, in Siegerpose.

Carlos, Assayas' fünfeinhalbstündiger Fernsehdreiteiler – von dem eine zweieinhalbstündige Kinoversion im Herbst auch in Österreich anlaufen soll – hatte am Mittwoch in Cannes Weltpremiere, unmittelbar bevor am Abend der erste Teil im französischen Fernsehen lief. Dieser Umstand hatte im Vorfeld für Kontroversen gesorgt: Es sickerte durch, dass sich der Altpräsident des Festivals, Gilles Jacob, deswegen gegen eine Aufführung sperrte, schließlich wurde Carlos aber doch noch für eine Vorführung außer Konkurrenz nachnominiert.

Der Revoluzzer wird zum Söldner

Es hat sich gelohnt: Assayas nutzt die epische Lauflänge für ein exakt recherchiertes historisches Panorama, ohne die widersprüchlichen Antriebskräfte der Figuren und die weltpolitischen Umstände zu vereinfachen. Die bewegliche Inszenierung vermeidet den steifen Tonfall vieler filmischer Geschichtsrekonstruktionen, die Szenenfolge ist so pointiert, dass man bei der vielsprachigen, jahrzehntelangen Reise rund um den Erdball nie den Faden verliert. Vor allem aber hat Assayas in Edgar Ramírez – wie Carlos gebürtiger Venezolaner – einen charismatischen Hauptdarsteller gefunden, der die Entschlossenheit der Titelfigur vermittelt, ohne sie zu romantisieren.

Wenn Carlos nach der mitreißend inszenierten Opec-Belagerung lächelnd aus dem Flugzeug steigt, hat er sich neu erfunden: Der marxistische Revoluzzer in Che-Klamotten wird zum Karriere-söldner. Im Gegensatz zu Steven Soderberghs Che-Epos hat Assayas' Film eine Haltung zu seiner Hauptfigur und dem politischen Terrain, in dem sie florieren konnte, und sie ist entlarvend.

Carlos ist teilweise in Wien gedreht. Und ein Filmregisseur, der zum Wiener Mozart-Jahr-Projekt „New Crowned Hope“ beitrug, hat einen letzten Höhepunkt im Wettbewerb gesetzt: Der Thailänder Apichatpong Weerasethakul hat mit der sinnlichen Dschungelfantasie Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives ein magisches Traumspiel vorgelegt, eine Art Science-Fiction-Mythos von Liebe und Tod, über den anlässlich der Preisvergabe Sonntagnacht hoffentlich noch einiges zu sagen sein wird. hub

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2010)

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