Deutschland: Das Verbrechen von Gleis 7

Passanten gedenken am Hauptbahnhof Frankfurt des ermordeten achtjährigen Buben mit Blumen und Teddybären.
Passanten gedenken am Hauptbahnhof Frankfurt des ermordeten achtjährigen Buben mit Blumen und Teddybären. (c) APA/AFP/dpa/FRANK RUMPENHORST
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Nach dem tödlichen Angriff auf einen Achtjährigen  am Frankfurter Bahnhof kommen immer mehr Details über den Täter ans Licht. Der Eritreer war offenbar auf der Flucht vor der Schweizer Polizei.

Berlin/Frankfurt. Blumen liegen an der Gedenkstelle am Frankfurter Hauptbahnhof, aber auch Süßigkeiten und Kuscheltiere. Auf einem Schild steht: „Ruhe in Frieden, kleiner Mann“, was schon anzeigt, dass dort ein junges Leben ausgelöscht wurde. Ein Mann aus Eritrea soll einen achtjährigen Buben und seine Mutter auf die Gleise gestoßen haben. Der Bub starb. Die Bluttat vom Montag wühlt die Republik auf, auch deshalb, weil sie im öffentlichen Raum stattfand, das Opfer zufällig ausgewählt wurde und noch ein Kind war. Und weil sich keine zwei Wochen zuvor ein ähnliches Verbrechen am Bahnhof Voerde in Nordrhein-Westfalen ereignet hatte, wo ein vorbestrafter 28-jähriger Mann wortlos eine 34-jährige Mutter vor einen Zug und in den Tod gestoßen haben soll. Auch der Tatverdächtige aus Voerde kannte sein Opfer nicht. Mutmaßlich handelte er aus reiner Mordlust.

Quälende Frage nach Motiv

Natürlich kreist nun auch über der Bluttat in Frankfurt die Frage nach dem Warum. Der mutmaßliche Täter stammt aus Eritrea, der Diktatur am Horn von Afrika. 2006 flüchtete er, wie viele seiner Landsleute, in die Schweiz. Er bekam Asyl. Die Schweizer Behörden führten ihn als Beispiel gelungener Integration und er gab in dieser Rolle auch einer Betreuungaorganisation ein Interview. Der Eritreer hatte in der Schweiz eine Niederlassungserlaubnis, eine Frau, drei Kinder und einen Job bei den Verkehrsbetrieben Zürich. Heuer kam er jedoch in psychiatrische Behandlung, in der Vorwoche soll er dann eine Nachbarin mit dem Messer bedroht und gewürgt haben. Seither wurde nach ihm gefahndet – aber nur in der Schweiz. Die deutschen Behörden wussten davon nichts.

Der Mann setzte sich in einen Zug nach Frankfurt. Am Montag stößt er dort um 9.59 Uhr vormittags zuerst eine Mutter auf die Schienen – sie kann sich auf ein Nebengleis rollen – und danach ihren achtjährigen Sohn. Das Kind wird vom einfahrenden ICE-Schnellzug erfasst. Es hat keine Überlebenschance. Der Mann versucht noch, eine 78-Jährige ins Gleisbett zu stoßen. Das misslingt, weil die Frau zuvor stürzt. Nach der Tat rennt der 40-Jährige los. Passanten, darunter ein Polizist in Zivil, überwältigen ihn. Der Eritreer sitzt inzwischen in U-Haft wegen Verdachts des Mordes und zweifachen Mordversuchs. Über sein Motiv schweigt er. Die Staatsanwaltschaft geht vorerst weder von einem Terrorakt noch von einem Zusammenhang mit einer Bluttat in Wächtersbach aus. In dem nahe Frankfurt gelegenen Ort hatte ein Deutscher (55) aus Fremdenhass auf einen Mann geschossen und ihn schwer verletzt. Das Opfer stammte aus Eritrea.

Seehofer unterbricht Urlaub

Innenminister Horst Seehofer (CSU) unterbrach wegen des „eiskalten Mordes“ von Frankfurt seinen Urlaub und eilte zur Krisensitzung nach Berlin. Es solle auch ein Signal sein, dass man „nicht zur Tagesordnung“ übergehen könne, sagte der Innenminister.

Der Bub war erst wenige Stunden tot, da wurde die Bluttat schon vom Führungspersonal der rechtspopulistischen AfD auf allen Kanälen instrumentalisiert. Man müsse die Bürger schützen statt „der grenzenlosen Willkommenskultur“, polterte Fraktionschefin Alice Weidel. „CDU-Politik versagt“, schrieb Sachsens AfD.

In Deutschland setzte auch eine Debatte über die Sicherheit in den 5600 Bahnhöfen ein. Seehofer kündigte mehr Polizeipräsenz an öffentlichen Orten an. Und die Polizeigewerkschaft schlug vor, über den „Einbau technischer Sperren“ nachzudenken: Auf den Bahnsteig könnte man dann erst, wenn der Zug bereits steht. In London gebe es teils solche Einrichtungen.

Doch bei der Deutschen Bahn hält man sie für kaum umsetzbar und teuer. „Wenn es um Menschenleben geht, gefällt mir das Argument mit dem Geld überhaupt nicht“, sagte dazu Seehofer. Er wolle über alle möglichen Maßnahmen reden – „vorurteilsfrei“.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2019)

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