„Streik“: Wahre Kämpfer für eine falsche Sache

Lasset uns kämpfen! Streikführer Laurent (Vincent Lindon) muss immer im Mittelpunkt stehen.
Lasset uns kämpfen! Streikführer Laurent (Vincent Lindon) muss immer im Mittelpunkt stehen.(c) Filmladen
  • Drucken

Laut, authentisch, wuchtig: In „Streik“ zeigt Regisseur Stéphane Brizé eindrucksvoll den zähen Kampf von französischen Fabriksarbeitern um ihre Jobs. Der Film ist ein Kunstwerk, aber seine Botschaft höchst fragwürdig.

Sind wir wirklich im Kino? Es geht los mit einer Nachrichten-Liveschaltung aus Südfrankreich: Ein deutscher Automobilzulieferer will dort ein Werk schließen, in einer strukturschwachen Gegend. 1100 Mitarbeiter samt Familien sind betroffen. Schnitt, Reporterin und Senderlogo verschwinden. Aber wir bleiben vor Ort, geraten selbst unter die wütenden Arbeiter, die einen Streik vorbereiten. Die nervöse Handkamera zieht uns hinein in ihren verzweifelten Kampf um Jobs. Der Ton ist laut und schrill, die Stimmen schwirren kakofonisch durcheinander. Bald fliegen die Fetzen, nicht nur in den zähen Verhandlungen mit dem Management, sondern auch zwischen Standhaften und Streikbrechern. Das Drama walzt unerbittlich voran, von einem Eklat zum nächsten. Ein Film wie ein Bulldozer, mit aufgepflanztem Megafon. Zugleich eine raffinierte Quasi-Doku, die in Drehbuch wie Darstellung alles lebensecht erscheinen lässt. Aber auch ein Stück Agitation und Propaganda, dessen Botschaft fatal ist.

Lindon spielt eine Naturgewalt

„Streik“ ist der achte Spielfilm des französischen Regisseurs Stéphane Brizé. Schon das vierte Mal arbeitet er mit seinem Lieblingsdarsteller Vincent Lindon zusammen, der für seine Rolle als Anführer der streikenden Arbeiter heuer in Cannes geehrt wurde. Sein Laurent ist eine Naturgewalt: ein charismatischer Löwe, der sein Rudel mit Zähnen und Klauen verteidigt. Als einziger professioneller Schauspieler am Set hätte er alle anderen an die Wand spielen können. Was aber nicht geschah. Vielleicht, weil die Laien in ihrem Hauptberuf so reden wie im Film: derb-direkt die Gewerkschafter, die Arbeiter spielen, floskelhaft-abstrakt die Juristen, die Manager und Politiker verkörpern. Brizé trieb seine Truppe so stark an, dass der knapp zweistündige Film nach nur 23 Drehtagen im Kasten war. Das verleiht ihm eine Energie, mit der ein Regie-Bruder im Geiste wie Ken Loach nicht (mehr) mithalten kann.

Immer lauter murren die Mitstreiter über Laurents autoritäres Agieren. Vom aussichtslosen Ringen zermürbt, geht ein Teil auf ein erhöhtes Abfindungsangebot ein. Präzise zeichnet Brizé die zersetzende Dynamik in basisdemokratischen Gruppen nach, die erkennen müssen, wie wenig sie tatsächlich verbindet.

Der Plot ist fiktiv, aber das Thema in Frankreich wohl vertraut, vom Gerangel um Werke von Whirlpool, Continental oder Goodyear. Immer soll eine Produktion ins Ausland verlegt werden, weil die Arbeitskosten in Frankreich zu hoch sind. Es gibt, anders als hierzulande oder in Deutschland, keine echte Sozialpartnerschaft. Starke Gewerkschaften sehen in den Arbeitgebern nur Ausbeuter. Es ist populär, gegen die Globalisierung zu polemisieren, die Medien schlagen sich voll auf die Seite der unmittelbar Betroffenen, wie auch die Politik bis rauf zum Präsidenten. Selbst wenn die Arbeitskämpfer auf einen Personalchef einprügeln und ihm das Hemd vom Leib reißen, sind ihnen die inoffiziellen Sympathien sicher.

Brizé rennt in seiner Heimat also offene Türen ein, wenn er einen gnostischen Krieg der Guten gegen die Bösen glorifiziert – „En guerre“ heißt sein Film im Original. Damit keine Zweifel aufkommen, legt er nach: Der Konzernchef hatte, gegen Lohnverzicht und Mehrstunden, die Jobs garantiert und sein Wort gebrochen (warum bekommen die Streikenden dann nicht vor Gericht Recht? – gewiss eine Verschwörung!). Außerdem weigern sich die Deutschen, das Werk an einen Interessenten zu verkaufen und damit zu retten. Denn, so die absurde Logik des Filmemachers: Sie würden sich einen neuen Mitbewerber einhandeln, weil der Standort ja in Wirklichkeit hoch profitabel ist. Nur können die Aktionäre ihren Hals einfach nicht voll kriegen. Immerhin entstellt Brizé die leitenden Angestellten nicht zu Karikaturen. Auch sie wirken authentisch, wenn sie vor den zornigen Arbeitern ihre hilflosen Worthülsen herunterbeten. Das suggeriert: Auch sie sind Opfer des Systems. Die Antwort auf das Warum „liegt außerhalb der Fabrik, sie hat einen Namen: der Markt“.

Der Teufel heißt Kapitalismus, gegen ihn schürt der Film den Hass. Mit Erfolg, wie die Kritiken durch die Bank zeigen, auch außerhalb Frankreichs. Über den „Wahnsinn eines Systems, in dem die Gier der Aktionäre über jede Moral triumphiert“, ereifert sich etwa der deutsche Evangelische Filmdienst.

Dieser Rat käme uns teuer zu stehen

Damit der Schaum vor dem Mund trocknet, ein paar Hinweise aus dem kleinen Einmaleins des Wirtschaftslebens: Kein Unternehmen kann auf Dauer erfolgreich sein, wenn es in einem Hochlohnland Waren produziert, die anderswo in gleicher Qualität günstiger hergestellt werden können. Fabriken in Osteuropa und Asien heben dort den Wohlstand und schaffen so neue Absatzmärkte für westliche Firmen. Damit können diese weiter wachsen und auf ihren Heimmärkten wieder Know-how-intensive Arbeitsplätze schaffen. Hätte Österreich diesen Strukturwandel gestoppt und – auf Druck von Gewerkschaften oder durch politische Intervention – jeden Arbeitsplatz in nicht wettbewerbsfähigen Branchen wie der Textilindustrie „gerettet“, würden wir heute unter Massenarbeitslosigkeit leiden. Es ist zu bezweifeln, ob die Betroffenen darin einen „Triumph der Moral“ sehen könnten.

Brizé aber jagt seinen Laurent bis in den Märtyrertod und zwingt den Konzern damit doch noch auf den Verhandlungstisch. Wahre Helden geben eben nicht auf – auch wenn sie leider für eine falsche Sache kämpfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.