Die Baukunst, Potenziale zu sehen

Gernot und Johanne Nalbach.
Gernot und Johanne Nalbach. (c) Amin Akhtar
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Die Nalbachs haben einen Fixplatz in der deutschen Architekturszene.

Ein Mann in lässigem Leinensakko und Jeans streift mit seinem Hund durchs Gelände des Seehotels am Neuklostersee. Am Ufer angekommen, überprüft er die Strandkörbe und findet an einem von ihnen, zu seinem Missfallen, Spuren nächtlichen Vandalismus. Er repariert den Schaden und sichert akribisch die Spuren des Übeltäters. Nochmals soll das nicht passieren. Leicht ist zu erkennen – das Seehotel und sein Areal sind die Passion des Gernot Nalbach.

Er und seine Frau, Johanne, beide Architekten, geboren und aufgewachsen in Österreich, haben am Neuklostersee in Nakenstorf, nahe Wismar in Mecklenburg-Vorpommern einen alten Bauernhof samt Nebengebäuden in ein idyllisches Hotel verwandelt. Und in Fincken, einem winzigen Dorf im Westen der Mecklenburgischen Seenplatte steht das zweite Hotel der Nalbachs, ein ehemaliges Kavaliershaus.

Johanne Nalbach ist nicht nur eine leidenschaftliche Architektin, sondern eine ebenso begnadete Erzählerin. Wenn sie von ihren Projekten spricht, braucht man sich nur zurücklehnen, und schon tauchen vor dem geistigen Auge die von ihr beschriebenen Gebäude auf. Die plastische Erzählung gibt uns das Gefühl, wir bewegten uns tatsächlich im Gebäude, würden die Räume und Plätze durchschreiten, vor Schränken mit grifflosen Türen oder eleganten Sitzgruppen verweilen und die Wirkung guter Architektur auf uns wirken spüren. Mit ziemlicher Sicherheit, würde man meinen, ein Déjà-vu zu erleben, wenn man dann tatsächlich eines der von ihr beschriebenen Häuser aufsucht. Es wird einem alles vertraut vorkommen, obwohl man noch nie dort war.

Die Nalbachs, sie aus Oberösterreich, er aus Wien, lernten sich beim Studium an der Technischen Universität in der Bundeshauptstadt kennen. 1972 ging Gernot Nalbach mit nur 28 Jahren für eine Professur nach Berlin. Danach, 1976 folgte für 32 Jahre der Lehrstuhl für Entwerfen, Raum und Medien an der Universität Dortmund, Fakultät Bauwesen. Acht Jahre nach der Ankunft in Berlin gründete er ebendort mit seiner Frau das Architekturbüro Nalbach+Nalbach. Nach der Wende gewannen sie den städtebaulichen Wettbewerb zur Bebauung der berühmten Friedrichstraße in Berlin. Es folgten Büro- und Wohnhäuser und viele Hotelbauten, darunter für die Art'otel-Kette national und international. Zu großen Ehren kam Gernot Nalbach 2001 als das Centre Pompidou in Paris frühe Arbeiten, Pläne, Skizzen und Modelle von ihm erwarb. Die nach seinem Entwurf für Semperlux hergestellten Urbi-Leuchten sieht man als Straßenbeleuchtung in vielen Städten, so etwa auch in der „Straße 17. Juni“ in Berlin. Der Designklassiker fand obendrein dauerhaften Eingang in die Sammlung des Deutschen Technikmuseums Berlin.

Johanne Nalbach wuchs in Linz als Tochter einer Ärztin auf. Die Mühlviertler Bauernhäuser haben sie wegen der klugen Bauweise begeistert und geprägt. Sie waren dann auch ihr Maturathema. Heute zählt Johanne Nalbach zu den bekanntesten Architektinnen Deutschlands. Ein besonders schönes Beispiel ihrer Arbeit ist das Café Bravo in Berlin, das sie gemeinsam mit dem Künstler Dan Graham gestaltet hat, oder das imposante Gebäude der Bundespressekonferenz, Sitz des gleichnamigen Vereins an der Kronprinzenbrücke in Berlin, Standort der Medienvertreter, die über das politische Geschehen in der deutschen Hauptstadt berichten. Nalbach + Nalbach sind klingende Namen in der Architektenszene, die für spannende Konzepte und hervorragende Bauqualität stehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2019)

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