Lese-Apps: Mit einem Wisch zum großen Wissen

Wer soll das alles lesen! Fleißige Studenten im Großen Lesesaal der Universität Wien.
Wer soll das alles lesen! Fleißige Studenten im Großen Lesesaal der Universität Wien. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Das Angebot boomt: Wer überall mitreden will, liest statt ganzer Sachbücher kurze Zusammenfassungen am Smartphone. Was ist davon zu halten?

Wir stehen in einer alten Bibliothek. Andächtig heben wir den Blick zu Hunderten Regalen mit Tausenden verstaubten Buchrücken. Der Mund steht offen, der Nacken schmerzt. Was unsere Ahnen beflügelte, schüchtert uns ein: Wer soll das alles lesen? Und es wird immer mehr: Jedes Jahr kommen über 90.000 Neuerscheinungen allein auf den deutschen Markt. Dabei sind wir ja neugierig auf literarische Entdeckungen und Sachbücher, über die alle diskutieren. Aber woher die Zeit nehmen, neben Kindern, Sport, Reisen und der neuen Serie auf Netflix? Die Zeitfenster sind zu eng, um auch noch Wälzer hineinzupressen.

Ein erstes Angebot zum Lindern unserer Nöte hieß: schneller lesen. Aber auch Speed-Reading-Techniken verlangen uns zu viel ab. Deshalb müssen jetzt die Bücher dran glauben. Es boomen die Lese-Apps: Blinkist aus Berlin, Getabstract aus der Schweiz, Instaread aus Kalifornien, Joosr aus Großbritannien. Sie alle servieren dicke Schinken in mundgerechten, leicht verdaulichen Häppchen, als Fast-Food-Fazit, mit einem Wisch am Smartphone. Statt sich ein Wochenende lang mit protestantischem Arbeitsethos durch 300 Seiten zu kämpfen, weiß man alles Wichtige in 15 Minuten, der Länge einer U-Bahn-Fahrt.

Ein Dutzend Bücher statt nur eines

Das App-Abo verschafft Zugang zu Tausenden Werken. Wohlgemerkt: Es geht vor allem um Sachbücher, nicht um klein gehackte und somit zerstörte literarische Kunstwerke. Experten vom Fach fassen die Kernaussagen in wenigen Sätzen und einfachen Wörtern zusammen. Die Idee: ein Dutzend Bücher in der Zeit von einem. Danach fühle ich mich bestens gebrieft, wie ein Spitzenpolitiker durch seine Berater. Und bei der nächsten Dinnerparty brilliere ich als Small-Talk-Star. Freilich erlischt dabei auch die Ehrfurcht vor der Leistung großer Denker.

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