Neues Album von Sleater-Kinney: Punk-Ikonen erfinden sich neu

Sleater-Kinney schrumpften zum Duo aus Carrie Brownstein und Corin Tucker. Drummerin Janet Weiss stieg angesichts der neuen Richtung aus der Band aus.
Sleater-Kinney schrumpften zum Duo aus Carrie Brownstein und Corin Tucker. Drummerin Janet Weiss stieg angesichts der neuen Richtung aus der Band aus. (c) Mom + Pop
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Die feministische US-Band Sleater-Kinney macht auf „The Center Won't Hold!“ einen Pop-Schwenk. Das irritiert manch langjährige Fans, zeitigt aber auch tolle Ergebnisse. Zumindest teilweise.

Ist es der Versuch, das Neue mit dem Alten zu vermählen? Ein Wink an langjährige Fans? Nach gut zwei Minuten Fabrikshallen-Gehämmere und verzerrten Synth-Bässen ertönt im Eröffnungsstück des neunten Albums von Sleater-Kinney, „The Center Won't Hold“, ein schrilles Pfeifen. Dann brechen rasende Punk-Gitarren und explosives Schlagzeug über den zuvor hypnotischen Song. Corin Tucker wiederholt die Zeile „The center won't hold!“, bis sich ihre Stimme beinahe überschlägt. Es ist das einzige Mal, dass die 1994 im Zuge der Riot-Grrrl-Bewegung gegründete Band in ihre musikalische Komfortzone zurückkehrt. Dass sich das Trio Tucker, Carrie Brownstein und Janet Weiss ansonsten einer Pop-Rundumerneuerung unterzieht, irritiert nicht wenige. Nur die letzten 40 Sekunden des Titelstücks würden nach der Band klingen, die er seit über zwanzig Jahren liebt, kommentierte ein enttäuschter Fan auf Instagram. Viele pflichteten bei.

Sleater-Kinney The Center Won't Hold! (Mom + Pop)
Sleater-Kinney The Center Won't Hold! (Mom + Pop)(c) Mom + Pop

Doch ist eine Band dem Bild verpflichtet, dass sich ihre Fans von ihr gemacht haben? Soll sie in Routine verharren, um die Nostalgie ihrer Hörer zu bedienen? Keineswegs. Wer den Kick der sich duellierenden Gitarren von Tucker und Brownstein sucht, wird im Backkatalog reichlich fündig. Ein Update ihrer historischen Errungenschaften zeitigte bereits das 2015er-Reunionsalbum „No Cities to Love“ (nachdem sich die Band 2006 aufgelöst hatte). Damit war die Tür geöffnet für eine Neuorientierung der feministischen Punk-Ikonen. Begleitet wurde diese von Produzentin Annie Clark, einer gewieften Pop-Strategin, die als St. Vincent experimentierfreudigen (Art-)Pop veröffentlicht.

Es ist neues musikalisches Vokabular, das zu tollen Ergebnissen führt: Im elegischen Refrain von „Reach Out“, einem Plädoyer für Zusammenhalt in harten Zeiten, klingen die Gitarren wie Synthesizer. „Reach out, I can't fight without you, my friend”, singt Tucker zu dezentem Dance-Groove. Das hübsche „Can I Go On“ paart Sixties-Girlgroup-Pop mit New Wave. Brownstein stellt darin die Frage nach dem Sinn des (vernetzten) Lebens: „Maybe I'm not sure I want to go on at all.“ Und in „The Future Is Here“ hält Tucker zu blubbernden Synths fest: „Never have I felt so goddamn lost and alone.“ In Songs wie diesen manifestiert sich der Albumtitel „The Center Won't Hold“ als individuelles Ringen seiner Protagonistinnen: als ob das eigene psychische Zentrum ins Wanken gerät. Nicht zuletzt aufgrund der emotionalen Last der Trump-Ära.

Die Schlagzeugerin macht das nicht mit

Ins Wanken geriet auch das Bandgefüge. Kurz vor Veröffentlichung des Albums stieg Schlagzeugerin Janet Weiss angesichts der neuen Richtung aus der Band aus: ein weiterer Schock für jene, die sich Sleater-Kinney so wie in den 1990er Jahren wünschen. Doch wer „The Center Won't Hold“ unvoreingenommen hört, erlebt eine Band, die sich mit viel Mut und Bravour dagegen wehrt, auf der Stelle zu treten. Nicht alles gelingt. Dafür bietet es bislang Ungehörtes: Nie bewegte Tuckers Gesang so sehr wie in der Piano-Ballade „Broken“, einem Tribut an Christine Blasey Ford, die US-Höchstrichter Brett Kavanaugh sexuellen Missbrauch vorwarf: „Me, me too, my body cried out when she spoke those lines.“ Sleater-Kinney mögen anders klingen. In ihren politischen Anliegen bleiben sie unbeirrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2019)

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