Vom Schaden für Rechnitz

Bei den Wiener Festwochen erregt Elfriede Jelineks Stück »Rechnitz (Der Würgeengel)« wie geplant die Gemüter. Über das Massaker an ungarischen Juden, die Schlussstrich-Forderung und schuldlose Erben.

Wer auf der Homepage der Gemeinde Rechnitz vom Massaker an 180 ungarischen Juden durch örtliche Nazis sucht, muss suchen. Auf der Seite „Geschichte" steht kein Wort über NS-Gräuel. Wer zwischen „Sehenswürdigkeiten" und „Wein" auf „Gedenkstätten" geht, stößt über dem Denkmal des Kameradschaftsbundes für die Gefallenen der Weltkriege unter dem Titel „Kreuzstadl" auf Informationen. „Hier fand in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 ein Ereignis statt, das dem Ansehen unserer Gemeinde unermesslichen Schaden zufügte: Es war dies die Ermordung von 180 ungarischen Juden."

Dann geht es um die Opfer: Dass deren Gräber trotz mehrmaliger Grabungen nicht gefunden wurden, liest man da. Dass dieser „Kreuzstadl" von der Kultusgemeinde finanziert worden sei, um „der Nachwelt als mahnendes Denkmal erhalten zu bleiben".

Elfriede Jelinek trägt nun also wieder zum Schaden der Gemeinde bei: Bei den Wiener Festwochen hatte diesen Samstag ihr Stück „Rechnitz" Österreich-Premiere. Es geht um die obszöne Party im Schloss der Gräfin Batthyány-Thyssen. Das sogenannte Gefolgschaftsfest ging über die Bühne, während Russen anrückten. Mehrere Gestapo- und NS-Funktionäre verließen es, um - alkoholisiert - jüdische Häftlinge zu erschießen, die am nahen Bahnhof nach Strapazen und Folter transportunfähig gestrandet waren. Dieses makabre Fest hat nicht nur Historiker, sondern Journalisten bewegt: „180 Tote als Partyeinlage" und „Gräfin bläst zur Menschenjagd", hieß es in den vergangenen Jahren in grellen Titeln. Ob die Gräfin überhaupt anwesend war, ist historisch nicht klar bewiesen.

Ihre Nachfahren Dominik und Ladislaus E. Batthyány wenden sich in dieser Ausgabe der „Presse am Sonntag" gegen das Stück Jelineks, in dem die Gräfin nicht nur als Gastgeberin, sondern auch als Mörderin dargestellt wird. Dies sei nicht zulässig, schreiben ihre Verwandten: Das Eintreten gegen Rassismus und für Menschenwürde habe doch auch mit dem Kampf gegen Mittel der Vereinfachung zu tun. Kritik an Jelineks Stück als Teil des Kampfs gegen den Rassismus?

Nein. Das ist sie sicher nicht. Der Vorwurf dümmlicher Verknappung kann und muss im Fall des Falles gegen Historiker und Journalisten erhoben werden. Jelinek darf und muss sich aber künstlerische Freiheiten erlauben können. Die Batthyánys haben sich auch die Freiheit genommen, ein Detail wegzulassen: Sascha Batthyány, Großneffe der Gräfin, vertrat im „Süddeutschen Magazin" die Überzeugung, dass seine Großtante bei dem Fest als Gastgeberin dabei gewesen sei.

Jelineks Text - nach Einschätzung unseres Theaterkritikers Norbert Mayer eine wortgewaltige, politisch sehr korrekte Anklage - regt noch immer auf. Um einmal die altbekannte Argumentation umzudrehen: Es muss endlich einmal Schluss sein mit der Wehleidigkeit der schuldlosen, unfreiwilligen Erben der Täter und Mitwisser. Das wäre ein Schlussstrich.

Burgenlands Landeshauptmann und Wahlkämpfer Niessl wird sich nach Angaben seines Sprechers das Stück übrigens nicht ansehen - „aus Termingründen". Auch o. k.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2010)

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