"Rechnitz": Jelineks Theater der Todsünden

Rechnitz Jelineks Theater Todsuenden
Rechnitz Jelineks Theater Todsuenden(c) EPA (TOBIAS HASE)
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Bei den Festwochen werden heuer "Rechnitz" sowie "Die Kontrakte des Kaufmanns" gegeben, im Theater Akzent spielt man "Jackie". Was macht die Stücke von Elfriede Jelinek so außergewöhnlich?

Was geschah, nachdem Elfriede Jelinek 1979 ihr erstes Theaterstück hatte uraufführen lassen? Nun, die damals schon durch ihre Prosa bedeutende, heftige Reaktionen hervorrufende Schriftstellerin entwickelte ihr dramatisches Talent konsequent weiter, nach der Veröffentlichung des etwas thesenhaft wirkenden, an Ibsen anknüpfenden Dramas „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft“.

Das erste Theaterstück wirkte noch allzu konstruiert und brav, aber Jelinek brachte es seither in 21Stücken zu einer Virtuosität, die wahrscheinlich nicht unwesentlich zur Verleihung höchster Literaturpreise beigetragen haben. Die Jury in Stockholm vergab die Auszeichnung „für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen“, Jelinek verstehe es, mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität von Klischees zu enthüllen.


Im Textgebirge. Das gilt zuletzt vor allem für ihre Dramatik. Darin fand Jelinek ab den späten Achtzigerjahren zu einem ganz eigenen Collagenstil, der die Sprache zugleich verhüllt und enthüllt, sie mit hoher Musikalität versetzt. „Wolken. Heim“ von 1988 (Regie: Hans Hoffer), „Raststätte oder Sie machen's alle“, von Claus Peymann 1994 am Burgtheater sowie „Ein Sportstück“, am selben Haus von Einar Schleef 1998 uraufgeführt, zählen zu dieser kreativen Phase.

„Wie unter dem Pflaster der Strand, so unter dem Pflaster die nie heilende Wunde Sprache“, schreibt Jelinek in „Theaterschrift“ Nr. 11 1997 in ihrem kurzen Essay „Sinn egal. Körper zwecklos“ über diese Theatertexte: „Ich werfe sie wie Mikadostäbe in den Raum, diese Männer und Frauen, denen noch Fetzen von Heidegger, Shakespeare, Kleist, egal wem, aus den Mundwinkeln hängen“, heißt es über Schauspieler, die uns berühren sollen, „ohne berührt zu werden“.

Man sollte sich von der betörenden Musikalität der Texte nicht täuschen lassen, sie sind vielschichtig, dunkel, voller versteckter oder offensichtlicher Zitate, das Produkt eines Schreibrausches. Jüngere Regisseure schwärmen davon, dass sie in diesen von Ironie und beißender Gesellschaftskritik getränkten Textgebirgen graben können und reichlich fündig werden. Für das zeitgenössische Theater sind diese Stücke noch lange nicht erschöpft. Wichtige Exegeten sind dabei der Schweizer Jossi Wieler, der bisher sechs Dramen von Jelinek inszeniert hat, und der deutsche Nicolas Stemann mit bisher fünf Regiearbeiten, die vorwiegend am Burg- und Akademietheater aufgeführt wurden, in recht robusten, meist stark gekürzten Fassungen.

Von Wieler wird seit Samstag bei den Wiener Festwochen die Münchener Inszenierung (die Uraufführung von „Rechnitz“ aus dem Jahre 2008) gezeigt, zum Abschluss ist ab 17.Juni Stemanns Interpretation von „Die Kontrakte des Kaufmanns“ zu sehen, die 2009 in Köln erstmals aufgeführt wurde. Zudem gibt es mit „Jackie“ aus den „Prinzessinnendramen“ noch ein kurzes Solo im Theater Akzent.

Alles Jelinek also in diesem Frühjahr in Wien, und hoffentlich kein Grund zu dumpfer Erregung, wenn wie in „Rechnitz“ Furcht und Elend des Dritten Reiches oder in „Die Kontrakte des Kaufmanns“ die Schrecken des Turbokapitalismus vorgeführt werden. Was aber sorgt dafür, dass die Texte dieser Frau, die voller schwarzen Humors, beißenden Spotts und enthüllender Sprachspiele sind, die Öffentlichkeit dermaßen spalten, dass sogar sonst gesittete Schöngeister des deutschen Feuilletons über die Verleihung des Nobelpreises schäumen?

Es muss an der Moral liegen. Jelinek schreibt nämlich durch und durch moralische Stücke. Deshalb ist es auch eine Genugtuung, dass sie 1998 den Büchner-Preis und 2002 den Heine-Preis gewonnen hat. Die beiden, eine schwermütige und eine raffinierte Variante der Gesellschaftskritik, passen noch viel besser zu ihrem Werk als der pompöse Nobelpreis. Jelineks Generalthema: Todsünden in den vielfältigsten Verkleidungen. „Gier“ heißt einer ihrer besten Romane (2000), um Gier geht es auch in ihrem jüngsten Stück, das eine raffinierte Collage aus Banker-Plattitüden, Bibel-Jargon, Existenzialphilosophie (und noch viel, viel mehr) ist. Im Zentrum dieser „Wirtschaftskomödie“ steht das Nichts, die Verneinung, die Abwesenheit von Gerechtigkeit.

Das kommt hier so abgründig wie bei Nestroy zum Ausdruck, wesentlich zeitgemäßer als beim politisch korrekten, in seiner moralischen Bedeutung auch nicht zu unterschätzenden „Rechnitz“ (siehe nebenstehenden Artikel), einem Auftragswerk, das ursprünglich eine Bearbeitung von Luis Buñuels surrealem Film „Der Würgeengel“ (1962) sein sollte. Das überbordend Surreale dominiert auch diesen maßlosen Text, der eine wortgewaltige, zornige Anklage ist. Für die Lauen ist dieses Drama nichts, ist diese Sprache an sich nichts, die so typisch österreichische Merkmale hat, die unablässig mit sich selbst spielt, als gebe es nichts außerhalb dieser Innenwelt.

In ihrer Rede zum Nobelpreis sagte Jelinek in einer Videobotschaft nach Stockholm: Wie soll der Dichter die Wirklichkeit kennen, wenn sie es ist, die in ihn fährt und ihn davonreißt, immer ins Abseits?“ Von dort draußen kann man vielleicht besser sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2010)

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