Reisen und Klimawandel: Die Welt steht Kopf

Klimazeichen. Es wird heiß, eng, grenzwertig. Das  lässt sich nicht wegignorieren.
Klimazeichen. Es wird heiß, eng, grenzwertig. Das lässt sich nicht wegignorieren. (c) imago stock&people (imago stock&people)
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Die Reisewelt steht in Zeiten der Klimakatastophe Kopf: Gute Konzepte harren der Umsetzung. Die moralische Debatte über die Schuld des Einzelnen greift viel zu kurz.

Die Welt ist groß, und die Menschen auf ihr sind schlecht verteilt. Vor allem im Urlaub. Im Sommer stürmen wir im Pulk die Gipfel, im Winter bilden wir Knäuel bei den Skiliftstationen. Wir überlaufen Strände, bis man mehr Handtücher als Sand sieht. Als Massentiere fühlen wir uns unter unsresgleichen wohl, entrüsten uns jedoch, wenn andere frecherweise die gleiche Idee hatten wie wir. „Unerträglich viele Touristen!“, denken wir und reihen uns wieder einmal grollend ein.
Die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) liefert erschreckende Zahlen. Die Gesamtmenge von Touristen im Ausland („grenzüberschreitende Reiseankünfte“) sei von 25 Millionen im Jahr 1950 auf 1,4 Milliarden jährlich, davon 713 Millionen in Europa, angestiegen. Im Vorjahr gar um sechs Prozent. Für 2019 wird eine Steigerung um drei bis vier Prozent prognostiziert, dem langjährigen Trend entsprechend – dem stehen schwindelerregende 3,7 Prozent jährlichen Weltwirtschaftswachstums gegenüber. Die Normalisierung mag mit der unsicheren Weltlage ebenso zu tun haben wie mit Tendenzen, Reiseziele vor der Haustür zu entdecken oder „staycation“ statt „vacation“ zu praktizieren – logisch, wenn Medien schon täglich an den Fußabdruck erinnern, den besonders Bewohner der Industrieländer hinterlassen.

Geschätzte 80 bis 90 Prozent der Weltbevölkerung haben noch keinen Fuß in ein Flugzeug gesetzt. Die Luftfahrtbranche will das ändern. Seit 1990 verdoppelte sich der globale Flugverkehr, bis 2035 soll das erneut geschehen, die Nachfrage aus Indien, China und anderen Schwellenländern soll tolle Zuwachsraten sichern – unvorteilhafter Tourismus auf Kosten von Umwelt und Zukunft. Wozu also neue Anreize schaffen wie weitere Pisten oder Flughafenmonsterausbauten? Im Mai wurde eine Studie der EU-Kommission geleakt: Durch Besteuerung von Kerosin in Europa (bisher: null) würden aufgrund geringeren Flugaufkommens elf Prozent des Kolendioxidausstoßes eingespart, durch höhere Ticketpreise gäbe es keine Einbußen an Arbeitsplätzen.
Die gängige Synonymisierung von Klimaverbrechen mit Flugreise ist dennoch falsch. Rund 2,5 Prozent der CO2-Emissionen gehen aufs Fliegen zurück (obwohl Flugzeuge noch anderes ausstoßen, doch das Bild bleibt ähnlich), nur ein Achtel jener des Straßenverkehrs. Die Wirkung eines totalen Flugverzichts wohlmeinender Einzelpersonen aufs Klima wird schon allein deshalb ausbleiben. Und moralische Fingerzeige greifen ohnehin zu kurz. Reförmchen durch ethischen Konsum Einzelner verlängern nur den Status quo. Unser wertes Konsumverhalten hat weder Frauenwahlrecht, Fristenlösung noch irgendeine Sozialleistung erstritten, Verbesserungen entstehen durch politische oder wirtschaftliche Entscheidungen.

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