Netflix: Emanzipierte Elfen und finstere Ausbeuter

Elfe Deet, Amalgam aus Alice und Seherin, freundlich und gescheit, in „Der dunkle Kristall“.
Elfe Deet, Amalgam aus Alice und Seherin, freundlich und gescheit, in „Der dunkle Kristall“. (c) Netflix
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„Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands“ ist die aufwendige Neuauflage eines bekannten Films der Muppet-Macher: mit echten Puppen statt digitalen Kreationen. Die Märchenfiguren vermitteln eine durchaus aktuelle Botschaft.

Wollen Sie ein Mädchen küssen? Warten Sie lieber, bis es die Initiative ergreift. So ist es jedenfalls auf dem Planeten Thra, dessen Name vielleicht vom ägyptischen Sonnengott Ra inspiriert ist. Die Elfenstämme auf Thra werden vorwiegend von Frauen beherrscht: Die Gelflinge – wie die spitzohrigen Geschöpfe mit weißen Zöpfen heißen – sind zerstritten. Das aber ist nicht das Schlimmste in Louis Leterriers Serie „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands“, derzeit auf Netflix zu sehen.

Die Gelflinge stehen unter der Tyrannei der Skekse, Monster, die wie Vögel oder Saurier ausschauen, mit mächtigen Zähnen und grotesken barocken Kleidern. Die Skekse bringen Gelflinge in ihr Verlies und saugen ihren Lebenssaft aus. Auch stellen die Unholde üble Experimente mit der Energiequelle des Planeten an, einem pinkfarbenen Kristall. Auf Thra herrschen daher Armut und Verfall. Den Skeksen ist es aber gelungen, den Gelflingen eine Gehirnwäsche zu verpassen: Die Elflein leisten Tribut und verfolgen Gegner ihrer Peiniger als Ketzer.

„Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands“ erzählt die Vorgeschichte eines Kultfilms der Muppet-Erfinder Jim Henson und Frank Oz (1982) und wirkt, wie „Der Spiegel“ schrieb, „wie aus der digitalen Zeit gefallen“ mit seinen imposanten Puppen, die mit der Hand bewegt werden. Alte Märchenfilme waren oft von mäßiger schauspielerischer und visueller Qualität, die Netflix-Neuverfilmung ist im Vergleich dazu eine Offenbarung. Und sie erinnert an früheres Kindertheater: magisch, nostalgisch, suggestiv.

In Märchen erscheinen oft Wahrheiten verschlüsselt. „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstandes“, schon der Titel sagt, was der Film sein möchte und auch ist, eine Dystopie, eine Utopie, ein Appell, die Natur zu schützen und ihre Zerstörung zu bekämpfen. Die Vielfalt der Landschaft und der Figuren mag von „Der Herr der Ringe“ abgeschaut sein, das stete Auf und Ab von Schrecken und Rettung gemahnt an „Harry Potter“. Freilich, sensible Kinder (die Serie ist ab sieben Jahren) sollten den „Dunklen Kristall“ lieber nicht anschauen. Einige Szenen sind abgrundtief grausam. Und Erwachsene dürften die Exzesse der Skekse nach einigen Folgen ermüden. Dann hat man das meiste gesehen und erkannt – etwa die Urmutter, die wie der Herzog in Shakespeares „Maß für Maß“ ihr Land verlässt und einem brutalen Statthalter die Macht überlässt. Einäugig, runzelig und mit Hörnern, reist Mama Aughra ins All und ist entsetzt, was sie bei ihrer Rückkehr vorfindet.

Sprecher: Sigourney Weaver, Egerton

Auch sonst gibt es esoterische Prototypen wie einen magischen Baum oder einen Kundigen, der sich skurrilerweise aus Steinblöcken erhebt. Zwerge, Wächter, mutierte Tiere ergänzen das Personal. In der englischen Fassung sind prominente Sprecher am Werk wie Sigourney Weaver als Erzählerin, Helena Bonham Carter als Elfen-Vorsteherin All-Maudra oder Taron Egerton („Robin Hood“) als verfolgter Gelfling Rian, ein Abtrünniger. „Eine Fantasyserie zum Hineinfallen wie früher“, schrieb ein Kritiker, nicht unrichtig, aber eher geeignet für Kinder, die drastische Stories lieben. Grimms Märchen sind schließlich auch nichts für zart Besaitete.

Nebenbei fällt einem noch etwas anderes auf, was vielleicht zur Brexit-Debatte passt. Die Muppets-Erfinder, ein Engländer und ein Amerikaner, erinnern daran, dass Großbritannien mit den USA oft mehr verbindet als mit Kontinentaleuropa: zum Beispiel die Sprache, der Humor und ein gewisser hemdsärmeliger Unternehmergeist.

Auf YouTube kann man Jim Henson und Frank Oz (er stammt aus einer britischen Puppenspielerdynastie) in ihrer Arbeit an den „Muppets“ folgen – die wohl mehr das Etikett Klassiker verdienen als „Der dunkle Kristall“. Die Serie besticht letztlich stärker durch Optik als durch Originalität der Story.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2019)

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