Philosophicum Lech

Die Eliten bleiben unter sich, beklagen sie in Lech

„Der Zorn des Achill“: Seinen Emotionen freien Lauf zu lassen kann sich nicht jeder leisten.
„Der Zorn des Achill“: Seinen Emotionen freien Lauf zu lassen kann sich nicht jeder leisten.(c) Getty Images (Heritage Images)
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Um „Die Werte der wenigen“ geht es beim heurigen Symposion – schon am märchenhaften Vorabend.

Gleich zu Beginn unserer abendländischen Kultur, in der „Ilias“, zeigen sich die Eliten von ihrer unangenehmsten Seite. Griechische Feldherren stehen vor Troia, und weil bei der Belagerung nichts weitergeht, fallen sie wie Raubtiere übers Umland her. Frauen sind nur zum Vergewaltigen und als Tauschobjekte da. Eine ganze „Psychopathologie elitären Verhaltens“ deckt Konrad Paul Liessmann in Homers Epos auf, das Michael Köhlmeier zuvor in bewährter Bravour nacherzählt hat, beim traditionsreichen vorabendlichen Duett zum Auftakt des Philosophicums in Lech.

Um „Die Werte der wenigen – Eliten und Demokratie“ soll es heuer gehen, bei der 23. Ausgabe des hochalpinen Symposions. Unter sich respektiert man sich in der Ritterkaste der Vornehmen und Auserwählten. Wer Durchsetzungskraft hat, kann es sich leisten, authentisch zu sein und seinem Zorn freien Lauf zu lassen, ob als cholerischer Firmenchef oder als Achill, von dem Agamemnon die Fürstentochter Briseis fordert. „Nehmen Sie nie einem Mitglied einer Elite etwas weg!“, warnt Liessmann. „Dann ist er gekränkt und wird Sie verfolgen.“ Das Publikum lacht, das Wort Reichensteuer muss gar nicht fallen. In der mittelalterlichen Legende von Gregorius schließt sich die Elite noch hermetischer ab: Sohn und Tochter des Königs sollten einander die Partner suchen, frönen aber dem Inzest. „Wir sind so gut, so schön, so klug – da kommt kein anderer für uns infrage“, spottet Liessmann. Hartmann von Aue und später Thomas Mann im Roman „Der Erwählte“ treiben die Geschichte bis zur Groteske: Der ausgesetzte Sohn der Geschwister landet später wie Ödipus in den Armen seiner Mutter. Er flieht zur Buße auf eine felsige Insel, wird als verehrter Einsiedler später Papst – und ist damit der Einzige, der seiner Mutter die Absolution erteilen kann. So sprechen sich die Eliten selbst von ihren Sünden frei, etwa nach einer Finanzkrise. Sie lassen sich von außen weder richten noch anregen – ein „geistiger Inzest“.

Der gestiefelte Kater, sozial mobil

Wie kommt frischer Wind hinein? Beim Märchen vom gestiefelten Kater sind wir der Meritokratie näher: Der Müllerssohn schafft den Aufstieg, ganz nach oben, wenn auch nur durch Lug und Trug. Sein Diener, der Kater, frisst den Zauberer, der beweisen will, dass er sich in eine Maus verwandeln kann. Auch so einer aus der Elite, „eitel aus Ichbezogenheit“, der seiner Hybris erliegt. Die Rabauken der „Ilias“ wussten immerhin noch, dass ohne Hilfe der Götter nichts gelingen kann. Dafür propagieren unsere Eliten nun universale Werte, konzedierte Liessmann bei seiner Eröffnungsrede (am Samstag im „Spectrum“). Sie sind mobil, weltoffen und divers – und suggerieren voller Hochmut: So sollten alle sein, aber die Massen sind nicht reif dafür. Dass wir die Eliten dennoch brauchen, vielleicht heute dringender denn je, kam noch etwas zu kurz. Aber auch ihr Lob wird sicher noch zu singen sein, bis Sonntag in Lech.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2019)

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