Morgenglosse

Europa steckt in Syrien den Kopf in den Sand

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SYRIA-CONFLICT-KURDS-ISAPA/AFP/DELIL SOULEIMAN
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Die ersten IS-Terroristen sind schon aus kurdischen Gefängnissen entkommen. Es kann Frankreich, Deutschland und anderen EU-Staaten nun schnell auf den Kopf fallen, dass sie sich vor ihrer Verantwortung für die europäischen Häftlinge gedrückt haben.

Mindestens acht Monate lang hatte Europa Zeit, sich eingehend zu überlegen, was mit den europäischen Angehörigen des sogenannten Islamischen Staates (IS) geschehen soll, die in kurdischen Haftanstalten und Lagern in Nordsyrien interniert sind. Doch den Verantwortlichen in den Staatskanzleien zwischen Berlin, Paris, Wien und Brüssel fiel nichts anderes ein, als den Kopf in den Sand zu stecken.

Schon damals war klar, dass türkische Armee-Einheiten eines Tages in Syrien einmarschieren und sich im nachfolgenden Durcheinander die Gefängnistore für IS-Terroristen öffnen könnten. Denn der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte schon seit Langem eine Militäroffensive gegen die Kurdenmilizen jenseits der Grenze angedroht. Und US-Präsident Donald Trump hatte bereits im Dezember 2018 den baldigen Abzug der 2000 US-Soldaten angekündigt und damit einen internationalen Aufschrei ausgelöst. Doch außer zu empörten Wehklagen ist die europäische Diplomatie offensichtlich nicht zu viel fähig, und manchmal reicht es nicht einmal dafür.

Ungefähr 400 IS-Kämpfer aus Europa sitzen in kurdischen Gefängnissen ein, dazu kommen noch 800 Frauen und Kinder. Die kurdische Führung bat die Europäer seit Februar dieses Jahres gebetsmühlenartig, ihre IS-Angehörigen zurückzuholen und in Gewahrsam zu nehmen. Auch Donald Trump stimmte lautstark in den Chor ein. Doch die Europäer stellten sich taub. Nichts geschah. Die meisten betroffenen Staaten zogen es vor, in hysterischen innenpolitischen Debatten Ängste vor einer Überstellung von IS-Kämpfern zu schüren, anstatt sich ihrer Verantwortung zu stellen. Von internationalen IS-Tribunalen war hochtrabend die Rede. Doch eingesperrt sollten die IS-Kämpfer bitteschön woanders werden, nur nicht in Europa.

Jetzt ist die Aufregung groß. Nach der türkischen Invasion kommt es, wie es kommen musste. Aus einem Frauenlager konnten bereits 800 IS-Angehörige fliehen. Mindesten fünf Terroristen entkamen aus der Haft in Qamishli. Die brüchige Waffenruhe wird vermutlich nicht lange halten. Je länger die türkische Militäroffensive dauert, desto mehr kurdische Gefängniswärter werden ihre Aufsichtspflicht vernachlässigen.

Das Chaos war und ist absehbar. Haben die Europäer daraus gelernt? Übernehmen Österreich, Frankreich, Belgien oder Deutschland wenigstens jetzt IS-Gefangene, um sie in deren Herkunftsländern mit der vollen Härte der Justiz zu bestrafen? Es sieht nicht so aus. Der französische Außenminister Yves Le Drian verhandelte mit der Regierung in Bagdad, ob die IS-Kämpfer aus Syrien in den Irak verfrachtet werden können. Das einzige Prinzip, das Europa in der Angelegenheit mit vereinten Kräften aufrecht erhält, ist es, die Verantwortung dem Nächstbesten aufzuhalsen, aber ja nicht selber zu übernehmen.

Inzwischen werden die inhaftierten IS-Kämpfer in Nordsyrien alles daran setzen, um die Kriegswirren für ihre Flucht zu nützen und abzutauchen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn manche von ihnen nach Europa zurückkehrten, allerdings nicht in Handschellen, sondern mit handfesten Terrorplänen.

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