Unruhen

Experte: Proteste in Südamerika erinnern an Arabischen Frühling

REUTERS
  • Drucken

Von Venezuela über Bolivien bis Chile: Über soziale Medien werden Bürger von den Demonstrationen in den Nachbarländern inspiriert, sagt Politikberater Mauricio de Vengoechea.

Für den kolumbianischen Politikberater Mauricio de Vengoechea erinnern die aktuellen Unruhen in vielen lateinamerikanischen Ländern an den Arabischen Frühling. "Es gibt Ähnlichkeiten, weil die Bürger der einzelnen Länder von den Protesten der Nachbarländer inspiriert werden", sagte er am Sonntag am Rande der Konferenz der Internationalen Politikberatervereinigung (IAPC).

Die Bedeutung der sozialen Medien erinnere ebenfalls an die 2010 beginnenden Umbrüche in der arabischen Welt. "Die Menschen sind nun besser informiert als vor 20 Jahren", erklärte der renommierte Berater, der in dreizehn lateinamerikanischen Ländern tätig war, gegenüber der APA. "Damals gab es nur Fernsehen und Radio und somit keinen Dialog", fuhr er fort. "Die sozialen Medien geben den Menschen aber eine Stimme. Sie wollen mitentscheiden und sich einbringen", so de Vengoechea.

Der Berater nannte hohe Gewaltbereitschaft, verbreitete Korruption und Armut als Hauptgründe der Proteste. "Südamerika ist die gewalttätigste Region der Welt", erklärte er. Dies gehe insbesondere auf den Drogenhandel zurück, der seit den 1990er Jahren nicht nur nach Europa oder in die USA exportiere, sondern auch in Südamerika floriere. "Aufgrund internationaler Kontrollen des Bargeldes werden mittlerweile Drogen als Zahlungsmittel verwendet, die vermehrt in den produzierenden Ländern verkauft werden", sagte er. "Der Drogenkonsum in der Region hat sich dadurch verdreifacht und so auch viel Gewalt mit sich gebracht", analysierte de Vengoechea.

Korruption und Schattenwirtschaft große Probleme

"Das zweite Problem ist die verbreitete Korruption, von der besonders die Polizei betroffen ist. Sie schützt die kleineren Dealer mehr als die Bürger", berichtete de Vengoechea. Grund dafür seien auch die niedrigen Einkommen der Polizei. Chile und Kolumbien seien bereits mit Reformen dagegen vorgegangen: "Kolumbien hat in den 90ern die Löhne der Polizei erhöht, kostenlose Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder geschaffen und die Karrieremöglichkeiten transparenter gemacht" Korruption sei zudem Grund für sofortige Entlassung. "Die Wertschätzung für den Beruf hat sich so erhöht", berichtete er. Dies sei in Lateinamerika jedoch die Ausnahme.

"Es gibt viele Arme in extrem schlechten Lebensverhältnissen, die weder Zugang zu fließendem Wasser noch zu Elektrizität haben", erläuterte de Vengoechea. Die Landflucht treibe viele von ihnen in die Stadt, in der sie auf ein besseres Leben hoffen. "Sie sehen dort zwar dieses bessere Leben, es bleibt für sie aber unerreichbar", sagte er. In wachsenden Slums sähen die Menschen also die Vorteile der Demokratie, ohne von ihnen zu profitieren.

Dies trage auch zum hohen Grad informeller Wirtschaft in der Region bei. "Kleine Unternehmen zahlen also keine Steuern, im Gegenzug bekommen sie aber auch keine staatlicher Unterstützung des demokratischen Systems", erklärte der Berater. "Die größten Unternehmen in Lateinamerika sind die Regierungen, nicht der Privatsektor", fuhr er fort. Dies befeuere die Ungleichheit: "In Lateinamerika haben ein bis zwei Prozent der Bevölkerung die Hälfte des finanziellen Besitzes. Darum gibt es auch 40 bis 60 Prozent Armut", so de Vengoechea. Dies führe zudem zu politischem Extremismus und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Spaltung.

Bolivien: Regierung kontrolliert immer mehr Behörden

"Bolivien ist ein gutes Beispiel", sagte der Berater. "Präsident Evo Morales gehört zur indigenen Bevölkerung und hat viel für Indigene getan, die rund 60 Prozent der bolivianischen Bevölkerung ausmachen", sagte er. "Zwar lief anfangs alles gut, aber Jahr für Jahr wurde die Freiheit eingeschränkt, weil die Regierung immer mehr Behörden kontrolliert."

Morales, der selbst 2005 den amtierenden Präsidenten Carlos Mesa mithilfe einer Protestbewegung ablöste, habe trotz des in einem Referendum geäußerten Widerstands der Bevölkerung die Verfassung geändert, um länger als zwei Amtszeiten das Präsidentenamt bekleiden zu können. "Das Referendum war also egal", sagte de Vengoehea. Zudem gab es Unregelmäßigkeiten bei der Wahl im Oktober, bei der Ex-Präsident Mesa als Morales' Herausforderer antrat.

Bei den anschließenden Protesten mussten bisher drei Todesopfer und über 250 Verletzte beklagt werden. "Gestern hat die Armee bekanntgegeben, nicht gegen die Bevölkerung vorzugehen", sagte der Berater. Um einen Putsch und die damit verbundenen venezolanischen Verhältnisse zu verhindern, müsse Morales zurücktreten. Tatsächlich beugte sich Morales dem Druck und rief kurze Zeit nach dem Gespräch Neuwahlen aus, wenige Stunden später erklärte er dann auch seinen Rücktritt.

(APA/Martin Auernheimer)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.