Neue EU-Kommission

Ungarisches Ungemach für von der Leyen

Nach der Ablehnung des ersten Kandidaten Ungarns, László Trócsányi, lief auch Olivér Várhelyis Anhörung nicht nach Wunsch.
Nach der Ablehnung des ersten Kandidaten Ungarns, László Trócsányi, lief auch Olivér Várhelyis Anhörung nicht nach Wunsch.(c) APA/AFP/JOHN THYS (JOHN THYS)
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Auch der zweite Kommissarskandidat Budapests stolpert bei seiner Anhörung. Olivér Várhelyi muss zusätzliche Fragen der Mandatare beantworten.

Brüssel. So sehr er sich auch bemühte, die Abgeordneten von seiner Unabhängigkeit gegenüber der ungarischen Regierung und seinem Bekenntnis zu Europas Grundwerten zu überzeugen: Es reichte nicht für Olivér Várhelyi, den Kandidaten Budapests für die Nachfolge von Johannes Hahn als EU-Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik.

Der bisherige ungarische EU-Botschafter in Brüssel muss bis Montag zusätzliche schriftliche Fragen beantworten, ehe sich der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments erneut mit seinem Fall befasst. Darauf einigten sich die Fraktionen der Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken. Sie lehnten es mit ihren 36 Stimmen gegen die 30 Stimmen von Várhelyis Europäischer Volkspartei, den Konservativen und Reformern (hier ist die polnische Regierungspartei PiS führend) sowie der rechtsnationalistischen Fraktion Identität und Demokratie (unter anderem mit der FPÖ) ab, Várhelyi dem Plenum des Parlaments zu empfehlen.

„Dafür bin ich nicht zuständig“

Der 47-jährige Berufsdiplomat und frühere Kommissionsbeamte hatte offensichtlich die Tiefe des Misstrauens unterschätzt. Zwar lieferte er allerhand nicht kontroversielle Stehsätze zu den diversen Fragen der Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik. Doch das war für die Mehrheit der Abgeordneten nicht der springende Punkt. Sie waren im Licht der öffentlichen Prahlerei von Ministerpräsident Viktor Orbán, wonach Ungarn nun den Schlüssel für jegliche Erweiterung in Händen halte, über seine grundsätzliche politische Haltung zu den autoritären Entwicklungen in seiner Heimat und dem Angriff auf Rechtsstaat, Medienvielfalt und Meinungsfreiheit besorgt.

„Sind Sie bereit, Ungarn öffentlich zur Auslieferung des früheren Ministerpräsidenten Nikola Gruevski nach Nordmazedonien einzuladen?“, fragte zum Beispiel Andreas Schieder, der Leiter der SPÖ-Delegation. Gruevski hat sich voriges Jahr durch Flucht einer Haftstrafe wegen Korruption in seiner Heimat entzogen und lebt nun in Budapest, unter Orbáns persönlichem Schutz. „Dafür bin ich nicht zuständig“, lautete Várhelyis Antwort. „Innenkommissarin Johannson wird sich darum kümmern müssen.“ Der französische Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann konfrontierte ihn mit einem Zitat Orbáns: „Jeder Migrant stellt ein Terror- und Sicherheitsrisiko in Europa dar.“ Und er fragte ihn: „Verurteilen Sie das?“ Várhelyi blieb eine Antwort schuldig.

Kommission klagt Briten

Sollten seine schriftlichen Antworten auf die zusätzlichen Fragen nicht zufriedenstellend sein, droht ihm eine zweite Anhörung. Sie wäre bereits für nächsten Dienstagmorgen geplant, erfuhr „Die Presse“ aus dem Parlament. Der Grund für diese große Eile: nächste Woche reist die Europäische Volkspartei zu ihrem Kongress nach Zagreb. Und in der Woche darauf findet die Plenartagung statt, auf der von der Leyen sich das Plazet für ihre Équipe erhofft.

Diese wird kein britisches Mitglied haben, das betonte die Regierung in London erneut. Vor den Parlamentswahlen am 12. Dezember zieme es sich der Tradition folgend nicht, wichtige Ämter zu besetzen. Die Kommission kündigte daraufhin am Abend an, gegen das Vereinigte Königreich ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Solange der Brexit nicht vollzogen ist, hätten die Briten alle Rechte und Pflichten eines EU-Mitglieds. Und letztere umfassten auch die Nominierung von Kandidaten für die Kommission. Bis nächsten Freitag hat London Zeit, der Kommission zu antworten.

Immerhin zwei gute Nachrichten gab es für von der Leyen: die Kandidaten Frankreichs (Thierry Breton, Industrie und Binnenmarkt) sowie Rumäniens (Adina V?lean, Verkehr) erhielten nach ihren Anhörungen grünes Licht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2019)

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