Cesy Leonard, Stabschefin des Zentrums für politische Schönheit.
Vienna Art Week

Cesy Leonard: „Was uns eint, ist ein unbedingter Wille, auf unbetretenen Pfaden zu gehen“

Mit seinem kompromisslosen Eintreten für das Wahre und Gute trifft das Zentrum für politische Schönheit den Anspruch der Vienna Art Week ins Schwarze: „Making Truth“.

Es schlug wie eine Bombe ein, als der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ am Abend des 17.  Mai 2019 jenes Video mit H. C. Strache und Johann Gudenus als Hauptdarstellern veröffentlichten, das als „Ibiza-Gate“ in die Annalen einging. Ein sechsminütiger Zusammenschnitt, der die türkis-blaue Regierung in Österreich nach nicht einmal zwei Jahren Amtszeit zu Fall bringen sollte. Spekulationen darüber, wer als Drahtzieher dahinter stünde, setzten sofort ein. Noch am selben Tag brachte sich der deutsche Satiriker Jan Böhmermann, der zu dem Zeitpunkt gerade in Graz eine Ausstellung am Laufen hatte, mit markigen Kommentaren ins Gerede: „Kann sein, dass morgen Österreich brennt.“

Zwei Tage später das nächste Gerücht: Das deutsche Künstlerkollektiv Zentrum für politische Schönheit (ZPS), das auch von Böhmermann unterstützt wird, stünde hinter der Produktion des Videos. Die Gruppe winkt jedoch ab. Nichtsdestotrotz erreicht das ZPS in Österreich durch diese Zuschreibung einen Bekanntheitsgrad, der weit über die bisherigen Insiderkreise hinausgeht – auch wenn es zu dem Zeitpunkt keine weiteren Indizien gibt. Es landet damit fast ohne Zutun dort, wo es in seinem ursächlichen Aktionsradius grundsätzlich hinstrebt: mitten in der Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft. Kein Zufall, dass das ZPS vom Bildungsverein #OffeneGesellschaft der Liste Jetzt am 10.  September, zweieinhalb Wochen vor der vorgezogenen Nationalratswahl, zu einer Präsentation eingeladen wird. Cesy Leonard, Chefin des ZPS-Planungsstabs, übernimmt und kommt als Sprecherin nach Wien. Die Moderatorenfrage „Fühlt ihr euch geehrt, dass man dachte, ihr hättet das Video gemacht?“ quittiert sie selbstbewusst mit „Ja!“. Zur Vorgeschichte will sie sich nicht äußern. Die Wertschätzung für die Produzenten des Videos drückte sich jedenfalls bereits im Mai im Ankauf des Videos durch das Kollektiv aus.

Vom „Schaufenster“ auf das Video angesprochen, hält Leonard grundsätzlich fest: „Es ist erstaunlich, dass eine Fiktion, die gut inszeniert ist, dazu führen kann, dass ein Staat innerhalb von kürzester Zeit die Chance hat, dass alles komplett neu durchmischt wird, ohne Gewalt anzuwenden, ohne einen Staatsstreich, Umbruch oder Militärputsch. Das heißt, eine gut geplante fiktive Geschichte hat einfach eine unglaubliche Macht, und daher ist es auch gefährlich, sich dazu zu äußern, um die Beteiligten zu schützen.“

Im Rahmen ihrer Galerieausstellung bei Krobath performt Sophia Süßmilch am 22.   11. um 18 Uhr.
Im Rahmen ihrer Galerieausstellung bei Krobath performt Sophia Süßmilch am 22.   11. um 18 Uhr. Sophia Süßmilch

Die gewisse Geheimniskrämerei. In dem Sinn beschreibt ihr deutliches „Ja“ aber nicht nur Zustimmung, sondern auch eine zentrale Strategie der Arbeit der Gruppe: Das Operieren und Agieren mit, die Aneignung von, das Spiel mit den Instrumentarien der Informationsgesellschaft, von den Social Media bis hin zu den verschiedenen Ausprägungen der Kommunikationstechnologie und eine gewisse Geheimniskrämerei. „Was uns eint, ist ein unbedingter Wille, auf unbetretenen Pfaden zu gehen, neue Wege zu suchen, und eine gewisse Dreistigkeit und Freude am Herausfordern der bestehenden Situation“, sagt Leonard.

Die Vorgehensweise ist dabei eine durch und durch theatralische. Der Ausgangspunkt für die stets mehrere Monate lang sorgfältig vorbereiteten Aktionen ist immer die Realität, insbesondere die politische und gesellschaftliche. Der öffentliche Raum ist die Bühne. Aus dieser Sphäre rekrutieren sich auch die Akteure, ohne dass diese es merken würden. Ist schon das Kollektiv selbst mit seinen rund 70  „Komplizen“, wie die Mitglieder genannt werden, eine Macht, tummeln sich in der jeweiligen Inszenierung oft mehrere Hundert. Dass die Medien dabei so gut wie immer nachziehen, kann fast schon als Selbstläufer gesehen werden. Um die gesteckten Ziele im Dienst des Guten und Wahren zu verwirklichen oder ihnen zumindest näherzukommen, gilt es, sämtliche Mittel auszu­reizen.

Persönliches Holocaust-Mahnmal für den AfDler Björn  Höcke, 2017.
Persönliches Holocaust-Mahnmal für den AfDler Björn Höcke, 2017.Patryk Sebastian W

Philipp Ruch, Chefstratege und Gründer des ZPS, beschreibt die methodische Grundhaltung als „aggressiven Humanismus“. Der Zweck heiligt sozusagen die Mittel. Es geht um das radikale und kompromisslose Eintreten für Humanismus und Menschenrechte. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus, seine schleichende Normalisierung und deren Auswirkungen ist dabei das oberste Ziel. Cesy Leonard: „Unsere Fragen richten sich gegen den nicht gelebten Humanismus und Menschenrechtsverletzungen. Wir treten auf gegen Hunger, Flucht, Vertreibung, Genozid.“

Das kann auch wehtun – nicht nur denen, die ins Visier des Zentrums für politische Schönheit geraten: AfD-Chef Björn Höcke etwa, vor dessen Haus im thüringischen Dorf Bornhagen das Zentrum 2017 eine Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmals in Form von 24  Betonstelen errichtete; Auslöser war eine Rede, in der der rechte Politiker das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte. Oder die rechte Szene als Ganzes, in Gestalt der Teilnehmer an den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz. Über die 2018 vom ZPS eingerichtete, inzwischen wieder abgeschaltete Homepage „Soko Chemnitz“ tappten viele von ihnen mittels Bilderkennungsprogramm in einen „Honeypot“ und lieferten so unfreiwillig unzählige Daten. Nach dem weiteren Zugewinn der AfD bei den Thüringer Landtagswahlen vor vier Wochen stehen die Anzeichen gut, dass auch die nächste Aktion des Zentrums eine ähnliche Schlagrichtung hat.

Das Atelier von Lois Renner ist eine der insgesamt 14 Stationen des Exhibition Parcours.
Das Atelier von Lois Renner ist eine der insgesamt 14 Stationen des Exhibition Parcours.Lois Renner

Harlekine der Szene. Das Wehtun betrifft aber auch die eigene Arbeitsweise, zum Beispiel im bedingungslosen Einsatz für die Projekte, wozu zum Teil auch das Aussitzen von Klagen und Prozessen gehört. Hier schließt sich auch der Kreis zur Schönheit als Motor der Aktivititäten: „Es geht nicht um ästhetische Schönheit, es geht um moralische Schönheit: Eine gute Tat zu tun, einem Menschen zu helfen, ein Menschenleben zu retten, jemandem die Hand zu reichen. Das Richtige zu tun, auch wenn man weiß, dass man in dem Moment seine Karriere, seine Stellung, vielleicht auch sein Leben riskiert. Das ist die wahre Schönheit, die innere Schönheit.“

Nahe liegt auch der Bezug zum Theater von Christoph Schlingensief. „Vom Künstlerischen, vom Theatermachen, vom Räume- und Konventionen-Brechen her sehe ich uns nochmals klarer politisch arbeitend und als Außenseiter und Harlekine in jegliche Szenen reingrätschend. Dennoch kommen wir noch mal mehr aus der Menschenrechtsecke.“

Vienna Art week.

„Making Truth“, also die Produktion von Wahrheit mit den Mitteln der Kunst, ist das Leitthema der Vienna Art Week 2019, die Wien nunmehr zum 16. Mal eine Woche im November zum Hotspot des Kunstgeschehens macht. Von den Museen, Kunstvereinen und Galerien über die Ateliers und Unis bis zu den Offspaces spannt sich ein dichtes Netz von Ausstellungen, Vorträgen, Diskussionen, Führungen und Vorführungen.

Offene Ateliers. Die erste große Drehscheibe der Vienna Art Week sind die Ateliers. Nicht nur stehen am Eröffnungswochenende rund 150 Ateliers zwei Nachmittage lang für das Publikum offen. 16 Künstlerinnen und Künstler – darunter Jakob Lena Knebl, Claudia Märzendorfer, Lisl Ponger, Lois Renner  – wurden zudem für den „Making Truth Exhibition Parcours“ ausgewählt und werden so zum Teil einer Themenschau direkt am Ort der Produktion. Ergänzt wird das Angebot durch Kuratorengespräche und Atelierrundgänge (16.–17.  11.).

Zwei Line-ups. Sie sind das diskursive Aushängeschild der Vienna Art Week: die Line-ups, in denen die großen Themen verhandelt werden und deren symbolträchtige Gastgeber die Kunstuniversitäten sind. Line-up 1 verhandelt gleich im Anschluss an die Open Studio Days die Bedingungen heutigen Kunstmachens im Spannungsfeld von Humanismus, Feminismus und Digital Data (Auditorium der Universität für angewandte Kunst Wien, 17. 11., 18–24 Uhr). Mit Santiago Sierra, Forensic Architecture, dem Zentrum für politische Schönheit u. a. steht am Freitag darauf dann das Hauptthema im Mittelpunkt des „Making Truth – Line-up“. Ein Symposium widmet sich weiters den „Frauen in der Kunstwelt“ (Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste, 22.  11., 15–21 Uhr).

Noch mehr Highlights. Dazu finden jede Menge Eröffnungen, Screenings, Talks, Performances und Special Events statt: etwa ein Sammlergespräch in der Albertina, eine Direktorenführung im Leopold Museum, Studio-Visits in Artist-in-Residence-Ateliers oder Gerald Straubs Touren mit performativen Interventionen, in denen der Künstler Einblicke ins Betriebssystem Kunst gibt. 15.–22.  11., www.viennaartweek.at

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 15.11.2019)

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