Wie sieht die ideale (Gesamt-)Schule aus?

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Immer mehr ÖVP-Politiker sind für eine gemeinsame Schule. "Die Presse" fragte Experten, wie diese funktionieren könnte.

In der ÖVP ist das Thema Gesamtschule seit Jahrzehnten ein besonders heißes Eisen. Nun wurde es auch parteiintern befeuert: Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl – immerhin Mitglied des ÖVP-Parteivorstandes – trat am Montagabend gemeinsam mit Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung, klar dafür ein. Und in der „Presse am Sonntag“ vom 6.Juni hat Oberösterreichs Landesschulratspräsident Fritz Enzenhofer erstmals erklärt, sich eine gemeinsame Schule der zehn- bis 14-Jährigen unter gewissen – idealen – Umständen vorstellen zu können: Hauptschule und AHS könnten zu großen Standorten mit bis zu 800 Kindern zusammengefasst werden, den Privatschulsektor müsste man dann aber eigentlich auflösen, um eine Massenflucht aus dem öffentlichen Schulwesen zu unterbinden. In der SPÖ ist man skeptisch und vermutet eine Finte mit unerfüllbaren Auflagen, um das Thema wieder einmal in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Und was sagt eigentlich der Parteiobmann dazu? Bisher rein gar nichts. Ist das etwa peinliches Schweigen? In der ÖVP ist man heftig bemüht, diesen Eindruck zu zerstreuen: Josef Pröll wolle die Diskussion eben nicht abwürgen. Außerdem vermisse der Vizekanzler und Finanzminister von der zuständigen SPÖ-Unterrichtsministerin Claudia Schmied ein konkretes inhaltliches Konzept für die Gesamtschule. „Da gibt es nichts, womit wir uns auseinandersetzen könnten.“ In erster Linie höre man von Schmied immer nur gebetsmühlenartig den Wunsch nach mehr Geld.

Das braucht sie vor allem für ihren flächendeckenden Schulversuch „Neue Mittelschule“. Gewitzte Landespolitiker, wie jene in Vorarlberg, haben dafür gesorgt, dass landesweit alle Hauptschulen mitmachen dürfen. Das bringt höhere Ressourcen. Österreichweit sind heuer 244 Standorte eingebunden. Zahlreiche Anträge für das nächste Jahr konnten nicht mehr genehmigt werden, weil gesetzlich nur 10 Prozent aller Schulen österreichweit im Versuchsstadium sein dürfen. Eine Schule ist es übrigens schon seit 1974: Die „Anton Kriegergasse“ in Wien-Mauer startete als „integrierte Gesamtschule“ und nennt sich nun „Wiener Mittelschule“. Sie ist damit quasi Österreichs Gesamtschul-Dinosaurier.

Ein „Presse“-Rundruf beförderte zutage, was sich Experten unter einer idealen, flächendeckenden Gesamtschule in Österreich vorstellen(Interviews: siehe unten): Die Befürworter unter ihnen halten eine gemeinsame Schule bis 14 für notwendig, damit Kinder mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Elternhäusern nicht weiterhin zu kurz kommen. Wie aber alle unter einem Dach bestmöglich fördern? Geht es nach den Praktikern, dann steht individuelle Betreuung im Unterricht ganz oben. Für die Begabten brauche es Neigungskurse für Sprachen, Naturwissenschaften oder Kunst. Kinder mit Defiziten, beispielsweise in der Unterrichtssprache, müssten ebenfalls extra trainiert werden.

Ein breiteres Angebot und mehr Ressourcen sind auch die Hauptforderungen von SPÖ und Grünen. Sie plädieren für eine Gesamtschule mit innerer Differenzierung statt der derzeit herrschenden äußeren Differenzierung – der Trennung in AHS-Unterstufe und Hauptschule.

Wandel auch im tertiären Sektor

Für den Philosophen Rudolf Burger vollzieht sich nicht nur in der Schule, sondern auch im tertiären Sektor ein Wandel. Während die Universitäten allgemein noch ein höheres Prestige hätten, werde den Fachhochschulen immer noch eine Ausbildungsfunktion zugeschrieben. Die Rangordnung werde sich aber bald ändern. Denn die Fachhochschulen böten bessere Studienbedingungen und seien flexibler. „Sie werden, wenn man so sagen will, die künftigen Eliteeinrichtungen sein und nicht die Universitäten; so wie es heute schon die HTLs im Sekundarbereich sind“, schreibt Burger im „Spectrum“ der „Presse“ vom kommenden Samstag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2010)

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