Proteste

Kein Entkommen aus der belagerten Universität in Hongkong

Eine Aktivistin versucht, über einen Tunnel aus der Universität zu entkommen.
Eine Aktivistin versucht, über einen Tunnel aus der Universität zu entkommen. REUTERS
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Noch rund 100 Studenten verbleiben auf dem von Sicherheitskräften eingekesselten Gelände. Alle Fluchtversuche würden von der Polizei unterbunden, sagen die Aktivisten.

Bei den Unruhen in Hongkong liefern sich Aktivisten und Polizei ein Tauziehen um die Belagerung einer Universität. Schätzungsweise rund 100 Studenten hatten sich am Dienstag den dritten Tag in Folge in der von Polizeikräften abgeriegelten Polytechnischen Universität verbarrikadiert. Alle Versuche der Demonstranten, das Gelände ohne festgenomen zu werden zu verlassen, scheiterten an der massiven Polizeipräsenz. 

"Wir überlegen die ganze Zeit, wie wir entkommen können, aber jedes Mal wenn wir eine Stelle auswählen, sehen wir viele Polizisten in der Nähe", sagte ein 22-Jähriger. "Aber wenn wir aufgeben, sind wir erledigt." Wegen des Vorwurfs des "Aufruhrs" droht ihnen bis zu zehn Jahre Haft.

Regierungschefin Carrie Lam versicherte vor der Presse, die Sicherheitskräfte wollten die Besetzung der Universität friedlich lösen. "Wir sind äußerst besorgt über die gefährliche Situation auf dem Campus", sagte sie.

Lam sah "Demonstranten" und "Aufrührer" am Werk. Die Regierungschefin forderte die Aktivisten auf, die Gewalt zu beenden, ihre Waffen aufzugeben und friedlich das Gelände zu verlassen. Doch die Regierungschefin machte auch deutlich, dass sie dann von der Polizei festgenommen würden. Nur bei den Minderjährigen werde eine Ausnahme gemacht. Von den rund 600 Studenten, die das Universitätsgelände verlassen hätten, seien rund 200 jünger als 18 Jahre alt gewesen.

Rund 1000 Festnahmen am Montag

Allein am Montag wurden nach Informationen der "South China Morning Post" rund 1000 Personen auf dem Campus im Stadtviertel Hung Hom und in den umliegenden Straßen festgenommen. Die Universitäten der früheren britischen Kronkolonie hatten sich vergangene Woche zu neuen Brennpunkten der Proteste entwickelt. Daraufhin wurden die Studenten vorzeitig in die Semesterferien geschickt.

Auf dem Campus der Chinesischen Universität (CUHK) seien mehr als 8000 Brandsätze gefunden worden, nachdem sich radikale Kräfte nach viertägigen Auseinandersetzungen mit der Polizei aus der Hochschule zurückgezogen hätten, berichtete die Zeitung. Regierungschefin Lam stellte klar, dass die Polizei die "Aufrührer", die von einer Universität zur anderen zögen, Brandsätze und andere lebensbedrohliche Waffen bauten, strafrechtlich verfolgen werde.

Über Nacht waren zunächst viele der jüngeren Demonstranten von einer vermittelnden Gruppe von Mittelschuldirektoren und prominenten Persönlichkeiten vom Gelände der Polytechnischen Universität geführt worden. Die Minderjährigen konnten nach Hause gehen, nachdem die Polizei ihre Personalien aufgenommen hatten. "Ich habe um eine sehr humanitäre Behandlung dieser Minderjährigen gebeten", sagte Lam.

Auslandsstudenten sollen Hongkong verlassen

Während Serbien rund zehn Studenten der Polytechnischen Universität ausflog, rief die britische University of Warwick alle ihre Austauschstudenten "aus Gründen der persönlichen Sicherheit" zum Verlassen Hongkongs auf. Von den etwa 70 österreichischen Studenten dürften die meisten die chinesische Sonderverwaltungszone bereits verlassen haben, sagte der Sprecher des Wiener Außenministeriums, Peter Guschelbauer, der APA auf Anfrage. Der Generalkonsul in Hongkong sei mit den Studenten in Kontakt und berate sie. Eine Evakuierungsaktion brauche es nicht, da der Flughafen Hongkong offen sei und es Rückflugmöglichkeiten gebe.

Die gewalttätigen Proteste in der chinesischen Sonderverwaltungsregion hatten bis in die Nacht angedauert. Schon seit fünf Monaten laufen die Demonstrationen gegen die Regierung, das als brutal empfundene Vorgehen der Hongkonger Polizei und gegen den wachsenden Einfluss der kommunistischen Pekinger Führung. Wegen der Unruhen blieben die Schulen und Kindergärten geschlossen. Doch sollen zumindest Grund- und Mittelschulen am Mittwoch wieder öffnen.

An der Polytechnischen Universität waren die Auseinandersetzungen am Wochenende eskaliert. Die Studenten setzten sich mit Barrikaden, Brandsätzen, selbst gebauten Katapulten oder auch Pfeil und Bogen gegen die Sicherheitskräfte zur Wehr. Die Polizei setzte Tränengas, Gummigeschoße und Wasserwerfer ein.

Seit Sonntag haben die Einsatzkräfte das Hochschulgelände abgeriegelt, um die Studenten festzunehmen. Trotzdem konnten einige Hundert über Zäune oder an Seilen aus Gebäuden flüchten. Zurück blieben ungenutzte Brandbomben, Flaschen mit entzündbaren Stoffen und Schutzkleidung, wie Hongkonger Medien berichteten.

Kompetenzstreitigkeiten über Vermummungsverbot

Nach der Aufhebung des Vermummungsverbots durch ein Gericht in Hongkong wies die chinesische Zentralregierung das Urteil als nicht rechtmäßig zurück. Alle Verordnungen stünden im Einklang mit dem Grundgesetz des autonom regierten chinesischen Territoriums, sagte ein Sprecher des Hongkong-Amtes des Staatsrates.

Nur der Ständige Ausschuss des Pekinger Parlaments könne entscheiden, ob ein Erlass mit dem Grundgesetz Hongkongs übereinstimme, teilte der Rechtsausschuss des Volkskongresses mit. Ein Sprecher äußerte seine "tiefe Sorge" über die Entscheidung des Gerichts am Vortag, das das Vermummungsverbot als zu weitgehend und nicht in Übereinstimmung mit Hongkongs Grundgesetz abgewiesen hatte. Das Urteil habe die administrative Gewalt der Regierungschefin "ernsthaft geschwächt".

Als Reaktion auf die Entscheidung hatte die Regierung die Umsetzung des Banns vorerst ausgesetzt. In den vergangenen Wochen waren viele Demonstranten festgenommen worden, weil sie Masken und dicht schließende Brillen trugen, um sich vor Tränengas und Pfefferspray der Polizei zu schützen. Viele wollten auch verhindern, dass sie von Sicherheitskräften oder auch von ihren Arbeitgebern identifiziert werden können. Ihnen drohten Haft bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe in Höhe von 25.000 Hongkong Dollar (2.887,07 Euro).

Hongkongs Regierung hatte das Verbot Anfang Oktober in einem Rückgriff auf fast 100 Jahre alte koloniales Notstandsrecht verfügt. Die Richter stellten klar, dass sie ein Vermummungsverbot nicht grundsätzlich ablehnten oder für verfassungswidrig hielten. Der vorliegende Bann wahre aber kein vernünftiges Gleichgewicht zwischen den geschützten Rechten der Bürger und den gesellschaftlichen Zielen. Das Urteil sieht auch das seit 1922 geltende Notstandsrecht im Widerspruch zum Grundgesetz, weil es der Regierungschefin zu weitreichende Vollmachten gebe.

Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" unter chinesischer Souveränität autonom regiert. Die sieben Millionen Hongkonger genießen - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik - viele Rechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit, um die sie jetzt aber fürchten.

(APA/Reuters/dpa/AFP)

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