Europa an die Leine nehmen

Europa Leine nehmen
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Wie kann die Eurozone vor den internationalen Finanzmärkten bestehen? Mit einer gesamteuropäischen Schuldenbremse, meint ein Ökonom im Finanzministerium.

Wien. Der Euro ist, verglichen mit den anderen großen Währungen der Welt, ein Kleinkind. Niemals würde Kurt Bayer ihn als eine Missgeburt bezeichnen. Der Exekutivdirektor der Osteuropabank EBRD drückt sich nobler aus: Bei der Gestaltung der Eurozone habe es „Geburtsfehler“ gegeben. Mit der Europäischen Zentralbank (EZB) hat man zwar eine Institution für eine stabile Geldpolitik geschaffen, aber eine koordinierte Fiskal-, Wirtschafts- und Wachstumspolitik habe man sträflich vernachlässigt. Deshalb sei eine europäische Wirtschaftsregierung, für die sich die Franzosen vehement ins Zeug legen, das Gebot der Stunde.

Falsch, kontert der Finanzexperte Peter Brandner bei einem Streitgespräch im Finanzministerium. Aus seiner Sicht sollte an dem Baby nicht herumgedoktert werden, schon gar nicht darf man es umoperieren. Es ist ganz einfach unglaublich schlecht erzogen, und das muss sich ändern – mit strengen Regeln, die auch durchgesetzt werden können. Denn wie uns die Spieltheorie beigebracht hat, bringe jede Koordination Anreize mit sich, „vom gemeinsamen Plan abzuweichen“.

„Das schlechteste Land steckt alle an“

Zudem fürchtet Brandner, dass eine Wirtschaftsregierung auf EU-Ebene das machen würde, was die meisten Staaten in den letzten 30 Jahren gemacht haben: den Wählern auch in der Hochkonjunktur mehr Ausgaben versprechen, als die Steuereinnahmen hergeben – also strukturelle Defizite schaffen. Auch die Deutschen dazu zu bringen, höhere Löhne zu vereinbaren und mehr zu konsumieren, um so die Ungleichgewichte im Euroraum auszugleichen, hält er für den falschen Ansatz. Denn das Produktivitätspolster, den sich Deutschland und Österreich geschaffen haben, habe sich in der Krise als Segen erwiesen: „Nur so war die Kurzarbeit möglich“, die einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert hat.

In Summe bringe eine gemeinsame Wirtschaftsregierung nicht mehr, sondern weniger Stabilität. Daher Brandners Plädoyer für eine Regelbindung, die „schlechte Politik vermeidet“, am besten mit einer für alle Euroländer verbindlichen Schuldenbremse nach dem Vorbild der Schweiz und Deutschlands. Sie würde eine ausgeglichene Budgetentwicklung über den Konjunkturzyklus sicherstellen, weil das strukturelle Defizit gleich bleibt.

„Wir müssen nicht koordinieren, sondern homogenisieren“, sagt Brandner. Wifo-Chef Karl Aiginger übersetzt das aus dem Publikum und für das Publikum: „Nicht jedem einzelnen Staat sagen, was er zu tun hat, sondern festlegen, was alle zugleich tun müssen.“ Er fasst auch zusammen, welches Problem der Euroraum zu lösen hat: „Die USA fahren mit ihren Defiziten eine riskantere Strategie als Europa“, aber dort gibt es keine Rückschläge, weil ihre Staatsanleihen auf den Märkten „als unsinkbares Schiff gehandelt werden“. In der EU aber wird jedes Land gesondert betrachtet, und „das schlechteste steckt sofort die anderen an“. Ähnlich sieht es EBRD-Direktor Bayer: „Alle Staaten im Euroraum starren voller Angst auf die Finanzmärkte, wie das Kaninchen vor der Schlange.“ Früher wurde viel weniger mit Staatsanleihen gehandelt, man hielt sie bis zum Ende ihrer Laufzeit, „und das war gut so. Man soll nicht alles den Märkten überlassen.“

Staaten tragen Risiko der Banken

Dem freilich kann Brandner wenig abgewinnen: „Die Finanzmärkte sind das Einzige, was in den letzten Jahren einigermaßen funktioniert hat.“ Auch der schwächere Euro sei kein Problem: „Darüber in Panik zu verfallen ist ökonomisch absurd. Der Kursrückgang ist harmlos, wir kommen eben jetzt auf den fundamentalen Gleichgewichtskurs herunter.“

Und der Kurswechsel der EZB? Dass sie nun Staatsanleihen ankauft, führe zwar nicht zu Inflation: „Das wird automatisch sterilisiert, für die Geldmenge ist das völlig egal.“ Das große Problem aber sei, dass die Währungshüter mit ihrem Kurswechsel beim Rettungspaket für die Euro-Problemstaaten ihre „Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit geopfert haben“. Auch die EU-Kommission hätte da nicht mitspielen dürfen: „Das ist so, wie wenn die Polizei bei einem Bankraub Schmiere steht.“ Zur Freude der Banken – sie seien nun aus dem Schneider, weil die Staaten ihre Risken übernehmen.

Im Übrigen hält Brandner auch das Misstrauen gegenüber den Ausfallsversicherungen (CDS) auf Staatsanleihen für einen Mythos: „Die Investoren haben vor Brüssel erkannt, dass es mit Griechenland ein Problem gibt.“ Als die Banken und Versicherungen dann im Jänner ihre Griechenland-Papiere als Bombe im Portfolio erkannten, konnten sie schon auf diese Versicherungen zugreifen: „Das hat die Situation nicht verschärft, sondern gedämpft.“ Dazu schüttelt Bayer nur amüsiert den Kopf: „Es ist schon lustig, dass Sie zwei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise immer noch ein ungebrochenes Vertrauen in diese Märkte haben.“

AUF EINEN BLICK

Um die Zukunft des Euro zu sichern, fordern Experten ein koordiniertes Vorgehen aller Mitgliedsländer. Die Vorschläge reichen von der Schaffung einer europäischen Wirtschaftsregierung bis zur verpflichtenden Schuldenbremse für alle Eurostaaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2010)

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