Elektronischer Art-Pop

Neues Album von FKA Twigs: "Wahrhaftig wie Maria Magdalena"

Das Eröffnungsstück „Thousand Eyes“ behandelt auch ein Leben unter Beobachtung: FKA Twigs.
Das Eröffnungsstück „Thousand Eyes“ behandelt auch ein Leben unter Beobachtung: FKA Twigs. (c) imago images/ZUMA Press (Imagespace via www.imago-images.)
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Auf ihrem zweiten Album „Magdalene“ nützt FKA Twigs die emotionalen Wirren einer Trennung als Kraftquelle. Mit emanzipatorischer Haltung, gregorianischen Chorälen und Industrielärm.

„If I walk out the door, it starts our last goodbye“, singt FKA Twigs in „Thousand Eyes“. Mantrahaft wiederholt sie die Zeile, zunächst a cappella, dann zu metallischem Pochen, verstreuten Pianotupfern und unheilvollem Dröhnen. Das Eröffnungsstück ihres zweiten Albums, „Magdalene“, ist nicht nur eine bewegende Meditation über einen finalen Abschied. Es thematisiert auch ein Leben unter ständiger Beobachtung, unter dem Mikroskop von „a thousand eyes“, wie es weiter heißt. Wie sich das anfühlt, weiß Tahliah Barnett, so ihr bürgerlicher Name, nur zu gut: Selbst zwei Jahre nach der schmerzhaften Trennung von Schauspieler Robert Pattinson lauern ihr noch Paparazzi britischer Boulevardblätter auf.

Es passt, dass sich die Protagonistinnen in ihren neuen Songs dagegen wehren, auf die (Ex-)Männer an ihrer Seite reduziert zu werden. Sie beharren auf der Hoheit über ihr eigenes Narrativ. Anders als bei der biblischen Maria Magdalena, der Namensgeberin des Albums, deren Geschichte stets von anderen (um-)geschrieben wurde.

Das ist kein R'n'B mehr

Auch FKA Twigs selbst möchte sich keine Stempel aufdrücken lassen. Mit ihrem 2014er-Debütalbum „LP1“ galt sie als Vorreiterin eines avantgardistischen R'n'B. Eine Genre-Zuschreibung, die der 31-jährigen Britin nicht behagte, weil sie diese vor allem in ihren familiären Wurzeln – ihr Vater ist Jamaikaner – begründet sah.

Musikalisch ist diese Zuschreibung nun obsolet. „Magdalene“ ist elektronischer Art-Pop, der sich bei gregorianischen Chorälen, Oper, Industrial oder Trauermärschen bedient. Er wurzelt doppelt im Schmerz: Nach dem traumatischen Ende der Beziehung mit Pattinson musste sie sich sechs gutartige Tumore in der Größe von Äpfeln und Kiwis aus der Gebärmutter entfernen lassen. FKA Twigs nannte sie ihre „Obstschale des Schmerzes“. „Apples, cherries, pain; breathe in, breathe out, pain“, singt sie in „Home With You“, einer von störrischem Lärm durchzogenen Piano-Ballade. Vor dem herrlichen Song-Finale, in dem ihre Stimme höchste Register erklimmt, zu dicht ineinanderverwobenen Holzbläsern und Streichern, singt sie die Zeile: „Mary Magdalene would never let her loved ones down.“

Im Song „Mary Magdalene“ verspricht sie, „true as Mary Magdalene“ zu sein. Und fügt über ein Meer aus zartem Knistern hinzu: „I can lift you higher/I do it like Mary Magdalene.“ Sie präsentiert sich so als loyale Gefolgsfrau, als hingebungsvolle Partnerin, die gleichzeitig darauf pocht, nicht bloß Fußnote der Geschichte (eines Mannes) zu sein, wie sie in Interviews betont. Vermutlich war sie auch deswegen so gerührt, als der chilenische Musiker Nicolas Jaar, mit dem sie auf „Magdalene“ arbeitete, seinen Namen aus den Album-Credits streichen lassen wollte: um nicht zu überschatten, dass FKA Twigs überwiegend selbst produziert hatte.

In ihren Bann ziehen die Songs im Spannungsfeld von Verletzlichkeit, Stärke und Sexualität meist nur langsam, aber dafür nachhaltig. Einzig „Holy Terrain“, bei dem der US-Rapper Future zum ermatteten Trap-Beat gastiert, ist ansatzweise Playlist- und Charts-kompatibel.

Stärker als bei früheren Arbeiten dominiert ihre in den Versen oft verfremdete, in den Refrains meist glasklare Stimme. Besonders im fesselnden Schlussstück „Cellophane“, in dessen Video sie kunstvoll um eine Pole-Stange Richtung Himmel kreist. „I don't want to have to share our love“, singt sie zu einem verhallenden Klavierakkord. Und fügt mit verletzter, brüchiger Stimme hinzu: „All wrapped in cellophane, the feelings that we had.“ Nur um gegen Ende gestärkt zu klingen, im Sinne einer zentralen Botschaft ihres Albums: dass emotionaler Schmerz nicht in Resignation münden muss, sondern Quelle neuer Kraft sein kann.

FKA Twigs: "Magdalene" (Young Turks)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2019)

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