Interview

Olga Neuwirth: „Es gibt immer Spielraum für Regelbrüche“

Anziehung. Olga Neuwirth holte Rei Kawakubo für das Kostümdesign zu ihrer Oper ins Boot.
Anziehung. Olga Neuwirth holte Rei Kawakubo für das Kostümdesign zu ihrer Oper ins Boot.(c) Christine Pichler
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Ein Gespräch mit Olga Neuwirth über ihr Verhältnis zur Mode und Rebellion durch Kleiderwahl.

Frau Neuwirth, Sie sprechen von einer besonderen Affinität zur Mode von Comme des Garçons: Wie und wann ist diese entstanden?

Ich war als Jugendliche ein Punk in einer xenophoben ländlichen Gegend an der Grenze zu Slowenien. Ich rebellierte gegen die rigiden Normen im Sozialleben und der Geschlechter-Unterscheidung in der österreichischen Gesellschaft. Ich habe daher nach weiblichen „Role Models" gesucht und eine davon in Rei Kawakubo mit dem von ihr gegründetem Modelabel Comme des Garçons gefunden. Ihre Modekunst war für mich stimulierend, auch wegen der androgynen Ausstrahlung ihrer Mode.

Was hat sie besonders angesprochen: die dekonstruierende Ästhetik, die Haltung des Aufbegehrens an sich?

Ja, einerseits die dekonstruierende Ästhetik, die mir nah ist, aber auch weil Rei Kawakubo in all ihren Kollektionen die Normen der Modebranche hinterfragte. Sie ist eine Experimentalistin, bis heute, und betritt mit unglaublicher Neugier und Eigenwilligkeit stets Neuland. Auch hat sie von Anbeginn an die Grenzen des Körpers hinterfragt, war stets furchtlos und unerschrocken und hat immer mit der Rhetorik von Modestilen durch die Jahrhunderte gespielt, diese dekonstruiert und für ihre Visionen umgewandelt.

»„Es gibt immer Spielraum für Regelbrüche. Denn der Mensch erfindet immer neue Normen.“«

Sie heben hervor, dass Rei Kawakubo mit Konventionen bricht: Meinen Sie die Konventionen der Mode? Oder gibt es noch eine andere Ebene?

Ich kenne die japanische Gesellschaft nicht, aber sie ist in den frühen Siebzigerjahren bestimmt genauso rigide gewesen wie die österreichische. Ich kann nicht für sie sprechen, aber ich denke, es war nicht einfach, die Konventionen der Gesellschaft und der Mode zu brechen. Es gibt immer Spielraum für Regelbrüche, in jeder Zeit, denn der Mensch erfindet immer wieder neue Normen, Konventionen, um sich ein seltsames Sicherheitsdenken unter dem Deckmantel von Stabilität aufzubauen. Und wenn auch immer alles dagewesen zu sein scheint, man kann das Dagewesene dekonstruieren, neu gestalten und mit Frische versehen, um ein Freigeist wie Orlando zu bleiben. Und das hat Rei Kawakubo mit ihren Kollektionen über all die Jahrzehnte hinweg getan.

Wie wichtig ist Ihnen selbst Mode als Ausdrucksmittel?

In der doch eher klassischen Musikwelt wurde ich vor 25 Jahren stets schief angeschaut, wenn ich mich etwas „wilder" angezogen habe. Dann hieß es bösartigerweise, ich würde mein Nichtkönnen in der Komposition mit einem schrägen Äußeren verdecken wollen. In Österreich musste man Jahrzehnte lang in Sack und Asche gehen und nur ja nicht auffallen, damit man in das herkömmliche Klischee der braven, stillen Frau, als „Frau hinter dem Herd", was aus der Nazi-Zeit übrig geblieben ist, passt. Dem habe ich mich absichtlich schon als Jugendliche verweigert.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 29.11.2019)

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