Der ökonomische Blick

Angriff auf die europäische Fusionskontrolle 

Die Fusion von Siemens und Alstom ist letztendlich gescheitert.
Die Fusion von Siemens und Alstom ist letztendlich gescheitert. (c) Reuters (CHARLES PLATIAU)
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Jeden Montag präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Dominik Erharter über Siemens/Alstom und warum „Europäische Champions" gefährlich sind.

Die Europäische Kommission prüft im Rahmen der europäischen Fusionskontrolle, ob Zusammenschlüsse zur Entstehung von Marktmacht führen und verhängt allenfalls Auflagen, um den Schutz des Wettbewerbs sicherzustellen. In rund 0,4% aller Fälle wurden besonders wettbewerbswidrige Zusammenschlüsse auch untersagt. Ziel der Fusionskontrolle ist es, niedrige Preise, hohe Qualität und ein breites Sortiment für die Verbraucher sicherzustellen.

Im Jahr 2004 kam es zu einer großen Reform der europäischen Fusionskontrolle, die zu mehr Transparenz und Vorhersehbarkeit geführt und die Fehlerwahrscheinlichkeit gesenkt hat. Andererseits wurde festgestellt, dass Auflagen bei der Verhinderung wettbewerblicher Bedenken weniger wirksam sind als Untersagungen und dass bei problematischen Fällen öfter auf Untersagungen zurückgegriffen werden sollte. Steigende Marktmacht, steigende Unternehmensgewinne und stagnierende Löhne haben in den letzten 30 Jahren in den USA und Europa zu wachsender Ungleichheit geführt. Auch in diesem Zusammenhang wurde in den letzten Jahren eine Verschärfung der Fusionskontrolle gefordert.

Der ökonomische Blick

Jeden Montag gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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diepresse.com/oekonomischerblick

Im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss von Siemens und Alstom ist eine Debatte darüber entstanden, ob die europäische Fusionskontrolle wettbewerbswidrige Fusionen zulassen sollte, wenn dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gestärkt würde. In Österreich führte der Zusammenschluss von Nidec und Embraco, von dem auch ein Werk im steirischen Fürstenfeld betroffen war, zur Forderung, dass der Schutz von Arbeitsplätzen in der Fusionskontrolle berücksichtigt werden sollte.

Die öffentliche Debatte zu Siemens/Alstom und Nidec/Embraco geht von Annahmen aus, die teilweise nicht mit den Fakten übereinstimmen. Losgelöst davon stellt sich die Frage, ob die Freigabe wettbewerbswidriger Fusionen das richtige Instrument ist, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu fördern und Arbeitsplätze zu erhalten.

Siemens/Alstom

Der Fall Siemens/Alstom betraf die Fusion eines deutschen und eines französischen Zugherstellers. Von Seiten der Unternehmen wurde vorgebracht, dass die Fusion notwendig sei, um im Wettbewerb mit dem chinesischen Zughersteller China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) bestehen zu können. Die Untersuchung der Kommission kam hingegen zum Ergebnis, dass Siemens und Alstom außerhalb Chinas Weltmarktführer in der Herstellung von Hochgeschwindigkeitszügen sind. Die CRRC hatte zum Zeitpunkt der Fusion noch keinen einzigen Zug und erst recht keinen Hochgeschwindigkeitszug in Europa verkauft. Die Kommission ging davon aus, dass es aufgrund hoher Sicherheitsanforderungen europäischer Eisenbahnen noch sehr lange dauern würde, bis die CRRC ihren ersten Hochgeschwindigkeitszug in Europa verkaufen könnte. In der Zwischenzeit wäre der Wettbewerb zwischen Siemens und Alstom notwendig um Preiserhöhungen für europäische Bahnkunden zu verhindern. Der Zusammenschluss wurde daher letzten Endes am 6.2.2019 untersagt.

Frankreich und Deutschland reagierten auf die Untersagung mit der Veröffentlichung eines deutsch-französischen Manifests für eine europäische Industriepolitik, in dem gefordert wurde, dass die europäische Fusionskontrolle zukünftig auch die Schaffung sogenannter „Europäischer Champions“ zulassen sollte, die im Wettbewerb gegen China und die USA besser bestehen könnten.

Wettbewerb, Produktivität und Wirtschaftswachstum

Wettbewerbsfähigkeit wird als das „Set der Institutionen, politischen Grundsätzen und Faktoren, die das Produktivitätsniveau eines Landes bestimmen“ definiert. Wettbewerb führt dazu, dass sich Leistung für Unternehmen stärker auszahlt. Das führt zu mehr Innovation und schnellerer Übernahme bestehenden Wissens und erlaubt es produktiveren Unternehmen schneller zu wachsen. Die empirische Evidenz belegt, dass Wettbewerb damit die Produktivität und letztlich das Wirtschaftswachstum fördert. Die regulatorischere Bevorzugung einzelner „nationaler“ oder „europäischer Champions“ führt hingegen dazu, dass politische Netzwerke wichtiger werden als unternehmerische Leistungen und schadet damit dem Wirtschaftswachstum.

Nidec/Embraco

Im Jahr 1982 wurde in Fürstenfeld ein Werk für die Herstellung von Kühlschrankkompressoren gegründet, dass in weiterer Folge mehrfach verkauft wurde. Im Jahr 2012 wurde ein Insolvenzverfahren über die nunmehrige ACC Austria eingeleitet und das Unternehmen wurde im Jahr 2013 von der deutschen Secop Gruppe übernommen, die 2017 Teil der japanischen Nidec Gruppe wurde. Im Jahr 2018 kündigte Nidec den Erwerb der brasilianischen Embraco an. Das Fusionskontrollverfahren der Europäischen Kommission kam zum Ergebnis, dass der Zusammenschluss zu höheren Preisen und einer Verringerung des Angebots bei bestimmten Typen von Kühlschrankkompressoren führen würde. Um die Freigabe des Zusammenschlusses zu ermöglichen, bot Nidec an, die Secop Gruppe an einen Investor zu verkaufen. Von Seiten der Belegschaft gab es massive Befürchtungen, dass das Werk in Fürstenfeld geschlossen werden würde. Aus Sicht der Kommission war die Erhaltung des Werks notwendig, um den Wettbewerb bei Kühlschrankkompressoren aufrecht zu erhalten. Nidec wurde daher verpflichtet, Investitionsmittel in Millionenhöhe bereitzustellen, um die Erhaltung des Standortes sicherzustellen. Am 22.10.2019 gab die Secop Gruppe überraschend bekannt, dass die finanzielle Lage schlimmer sei als bisher angenommen und dass es notwendig sei, die Produktion von Fürstenfeld in die Slowakei zu verlagern. Arbeitsplätze im Bereich F&E, Vertrieb und Administration sollen hingegen am Standort Fürstenfeld verbleiben.

Aus Zeitungsberichten geht hervor, dass Secop Austria in den letzten Jahren regelmäßig Verluste gemacht hat. Auch die Anzahl der Arbeitsplätze ist kontinuierlich zurückgegangen, von 700 im Jahr 2012 auf rund 450 vor der Übernahme durch Nidec im Jahr 2017. Die Verlagerung der Produktion in die Slowakei würde jedoch einen weiteren Verlust von 250 Arbeitsplätzen in der Region bedeuten. Derzeit besteht wieder Hoffnung, dass doch noch eine Lösung für die betroffenen Arbeitnehmer gefunden wird.

Wettbewerb und Arbeitsplätze

Aus ökonomischer Sicht führt mehr Wettbewerb zu niedrigeren Preisen oder höhere Qualität und damit zu einer höheren Nachfrage. Eine höhere Nachfrage führt dazu, dass mehr produziert wird und erhöht damit auch die Nachfrage nach Arbeitskräften. Dieser positive gesamtwirtschaftliche Zusammenhang von Wettbewerb und Beschäftigung wird auch von der verfügbaren empirischen Evidenz bestätigt. Durch das Wachstum produktiverer Unternehmen und die Verdrängung unproduktiver Unternehmen kann es aber auch zur Verlagerung von Arbeitsplätzen kommen.

Die empirische Evidenz zeigt, dass wettbewerbsfördernde Fusionen die Beschäftigung erhöhen und wettbewerbswidrige Fusionen die Beschäftigung verringern. In Ländern mit eher rigidem Arbeitsrecht werden Zusammenschlüsse manchmal aber auch dazu verwendet, um das Beschäftigungsniveau anzupassen: In den USA, wo das Arbeitsrecht traditionell sehr flexibel ist, haben Fusionen im Durchschnitt keine Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau. In Europa, wo die Arbeitsmärkte in der Vergangenheit weniger flexibel waren, verringerten Zusammenschlüsse das Beschäftigungsniveau der beteiligten Unternehmen im Durchschnitt um 10%. In den letzten 20 Jahren sind aber auch die Arbeitsmärkte in Europa deutlich flexibler geworden. In den letzten 10 Jahren ging 47% des Jobabbaus in Österreich auf interne Restrukturierungen, 42% auf Insolvenzen und Unternehmensschließungen, 8% auf Offshoring und nur 2% auf Zusammenschlüsse zurück. Der Großteil der Restrukturierungsmaßnahmen entzieht sich somit dem Einflussbereich der Fusionskontrolle und es braucht andere Instrumente, um den Strukturwandel auf verantwortungsvolle und soziale Weise zu begleiten. Festzuhalten bleibt zudem, dass die Freigabe wettbewerbswidriger Zusammenschlüsse der Beschäftigung in der Regel eher schaden als nützen würde.

Quo Vadis Fusionskontrolle?

Ein Blick auf die empirische Evidenz legt nahe, dass die Einführung neuer Untersagungs- und Rechtfertigungsgründe in der Fusionskontrolle nicht notwendigerweise die erhofften Vorteile bringen würde. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Fusionskontrolle schwerwiegende Eingriffe ermöglicht und viele Möglichkeiten bietet, um einzelne Unternehmen zu fördern und anderen das Leben schwer zu machen. Aus Sicht der betroffenen Unternehmen ist es daher von höchster Wichtigkeit, dass die Fusionskontrolle transparent und diskriminierungsfrei auf Basis objektiver Kriterien erfolgt.

Der Autor

Dominik Erharter ist Wettbewerbsökonom bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und befasst sich schwerpunktmäßig mit ökonomischen Aspekten der Zusammenschlusskontrolle, der Untersuchung von Kartell- und Missbrauchsfällen sowie mit Branchenuntersuchungen.

Dominik Erharter
Dominik Erharter

Weiterführende Informationen

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat am 26.11.2019 ein Positionspapier zu nationalen und europäischen Champions in der Fusionskontrolle veröffentlicht.
>>> zum Positionspapier

Literatur

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Link (Abstract): https://academic.oup.com/jeclap/article-abstract/9/5/336/4992914 

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