Per Konsole wird der Tauchroboter im Digitalen Wasserkraftwerk 4.0 in Rabenstein gesteuert.
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Wasserkraftwerk 4.0: Denkbar ist machbar

Im steirischen Rabenstein erprobt Verbund das Wasserkraftwerk der Zukunft. Auf dem Prüfstand stehen Tauchroboter, smarte Datenbrillen, digitale Zwillinge und das Instandhaltungskonzept der Zukunft, Predictive Maintenance.

Wer in Frohnleiten nahe Graz den Blick vom Felsen auf die Mur schweifen lässt, könnte sich auf einer Zeitreise vom Mittelalter ins dritte Jahrtausend wähnen. Während auf einem Hügel die im 12. Jahrhundert entstandene Burg Rabenstein thront, wird ein Stück weiter unten am Fluss ein Tauchroboter zu Wasser gelassen, um zentimetergenau das Laufrad der rund hundert Tonnen schweren Rohrturbine des Wasserkraftwerks anzusteuern. Die Anomalie-Detektoren hatten zuvor aufgrund der Sensordaten aus dem Maschinensatz Alarm geschlagen. Im digitalen Zwilling wurde eine massive Lebensdauerverkürzung essentieller Teile erkennbar.

Die Betriebsingenieure reagieren unmittelbar und stellen die Turbine für eine Schnellinspektion ab. Währenddessen wird mit dem Echtzeit-3D-Sonar, das für Menschen gefährliche Tauchgänge im eiskalten Wasser übernimmt, der Einlaufbereich der Maschinen kontrolliert. Das Sonar stört das trübe Wasser nicht, weil es akustische Signale aussendet und im Unterschied zu Tauchern bei jeder Wassertrübung noch sieht. Ein Ausblick auf die Arbeitswelt der Zukunft in Wasserkraftwerken.

Digital intelligent

Was futuristisch klingt, ist zunehmend gelebte Realität im steirischen Verbund-Murkraftwerk Rabenstein. 1987 ging das Laufkraftwerk in Betrieb, ab 2018 ist es zu einem europaweit einzigartigen Schauplatz digitaler Technologien geworden. „Unser Ziel ist, alle für die Wasserkraft denkbaren Möglichkeiten von digitalen Anwendungen zu evaluieren, die aussichtsreichsten Technologien in unserem Pilotkraftwerk intensiv zu testen und danach erfolgreich gesamt bei Verbund zu implementieren“, erklärt Achim Kaspar, im Verbund-Vorstand für Digitalisierung und Erzeugung zuständig.

Seit knapp zwei Jahren sind Projektleiter Bernd Hollauf und sein Team mit intensiver Unterstützung der Betriebsmannschaft damit beschäftigt, die Weichen im Kraftwerksalltag für die Zukunft zu stellen. Die Bandbreite der Technologien reicht von intelligenten Sensorik-Konzepten, Prognosemodellen, digitalen Zwillingen, mobilen Assistenzsystemen und neuartigen autonomen Vermessungs- und Inspektionskonzepten bis hin zu vernetzten Plattformlösungen.

Vorausschauend effizient

Soll beispielsweise ein Maschinen-Störfall vorhergesagt werden, werden intelligente, teils akustische Überwachungssysteme mit künstlicher Intelligenz eingesetzt, um die Datenbasis für Modelle zur Detektion und Prognose von Anomalien zu liefern. Digitale Zwillinge errechnen mit Hilfe der Sensordaten in Echtzeit-Simulationen nicht nur die Restlebensdauer von wichtigen Maschinenteilen, sondern untersuchen ebenso alternative Betriebsweisen und deren Auswirkungen. Das Schlagwort in diesem Zusammenhang heißt Predictive Maintenance, das Instandhaltungskonzept für die Industrie der Zukunft.

Was reaktive Verfahrensweisen (gehandelt wird erst, wenn ein Störfall bereits eingetreten ist) und präventive Instandhaltung (vorbeugende Maßnahmen nach starren periodischen Plänen) nicht leisten können, soll dank Predictive Maintenance gelingen: Das Vorhersagen von Mängeln, um proaktiv Aktionen zu setzen, die Schadensfälle vermeiden bzw. Anlagenleistungen optimieren. Im Kraftwerk bietet sich das Konzept insbesondere beim Generator und der Turbine an, die als Herzstück der Stromerzeugung zuverlässig und pausenlos laufen sollen, da jeder Stillstand oder Schaden einen massiven Erzeugungsverlust bewirken kann. Ein innovatives, mit künstlicher Intelligenz gekoppeltes Kamera-Inspektionssystem erlaubt etwa die rechtzeitige Erkennung negativer Veränderungen im Generator.

Achim Kaspar, im Verbund-Vorstand für Digitalisierung und Erzeugung: „Mit dem digitalen Kraftwerk machen wir unsere Wasserkraft fit für die Zukunft und die Energiewende.“
Achim Kaspar, im Verbund-Vorstand für Digitalisierung und Erzeugung: „Mit dem digitalen Kraftwerk machen wir unsere Wasserkraft fit für die Zukunft und die Energiewende.“(c) Verbund

Proaktiv produktiv

Die Vorteile von Predictive Maintenance liegen auf der Hand. Der ideale Zeitpunkt für Instandhaltung und Wartung wird planbar, bevor noch das Problem entsteht. Das bringt nicht nur Effizienz beim Einsatz von Servicearbeitern und beim Ersatzteilemanagement, sondern spart vor allem Kosten, die durch Ertragsausfall bei Maschinenstillstand entstehen. Zudem lässt sich mit der vorausschauenden Instandhaltung die Performance von Maschinen verbessern und ihre Lebensdauer verlängern. Ein weiterer wesentlicher Pluspunkt: Ändert sich die Betriebsweise eines Kraftwerks, können die Beanspruchungen der Komponenten in den digitalen Zwilling eingespeist werden, um vorab die Auswirkungen auf die Bauteile zu berechnen. Anlagen werden somit transparenter und mit der Abnahme von Kraftwerksausfällen steigt die Versorgungssicherheit.

Ist ein Störfall dennoch nicht zu vermeiden, können mobile Assistenzsysteme alle für die Reparatur erforderlichen Informationen in Echtzeit an jedem Ort im Kraftwerk bereitstellen. Getestet wird in diesem Zusammenhang in Rabenstein neben dem Einsatz von Tablets oder Smartphones auch jener der Datenbrille. Insgesamt verspricht man sich eine völlig neue Art der Störungsbehebung, wenn die Kraftwerker dank ihrer mobilen Endgeräte Zugriff auf sämtliche Daten eines Anlageteils erhalten, sich online von Kollegen Unterstützung holen und vor Ort papierlos dokumentieren können. Ob schlussendlich die Datenbrille oder doch ein Tablet das Technologie-Rennen für sich entscheidet, ist derzeit noch offen.

Hydropower 4.0

Gesetzt wird im Pilotkraftwerk auf Entwicklungspartnerschaften mit der Industrie und internationale Kooperationen mit Herstellern und Forschungseinrichtungen. Was in Rabenstein vorangetrieben wird, schreibt sich dabei in ein weit gefasstes Automatisierungs- und Digitalisierungsportfolio von Verbund ein, der diesbezüglich europaweit zu den Branchenvorreitern gehört. Das dokumentieren schon heute u.a. die zentrale Betriebsdatenerfassung, die Fernsteuerung aller 128 Kraftwerke oder die automatisierte Zustandsüberwachung der elektrischen und mechanischen Hauptkomponenten und Optimierung des Maschinen-Einsatzes.

Auch die durchgehende Onlineüberwachung der Talsperren, teils über mobile Devices, die digitale Datenerfassung der Vermessung und Hydrographie sowie die SAP-unterstützte Instandhaltungsplanung und -durchführung gehören bei Verbund zum etablierten Alltag. Für den nächsten Schritt in Richtung „Gläsernes Wasserkraftwerk“ wurde bereits 2018 ein millionenschweres Digitalisierungspaket (Volumen: 27 Millionen Euro, Laufzeit bis 2022) initiiert. Die Ziele lauten, Prozesse von Betrieb und Instandhaltung zu vereinheitlichen, digital abzubilden und so die Arbeit in den Kraftwerken ohne Medienbrüche einfacher zu gestalten (Stichwort: Digital Workforce Management) sowie die schrittweise Umsetzung des digitalen Kraftwerks à la Rabenstein an weiteren Standorten.

„Es wäre ein fataler Irrglaube, zu denken, Wasserkraft sei eine technisch ausgereifte Technologie ohne Potential für mehr. Mit dem digitalen Kraftwerk richten wir in diesem Sinne unsere Wasserkraft neu aus, um für die zukünftigen Herausforderungen und auch Anforderungen der Energiewende gerüstet zu sein“, bringt es Achim Kaspar auf den Punkt. Die Digitalisierung dient dabei als Werkzeug, das Arbeit erleichtern und effizienter gestalten soll. Experten mit handwerklichen und planerischen Fachkenntnissen sind auch künftig unentbehrlich. Dieser Bedarf scheint – mit Blick auf die Felsenburg – zeitlos zu sein.

In Kürze

Das Verbund-Murkraftwerk Rabenstein versorgt rund 15.000 Haushalte mit ökologischem Wasserstrom.

Zum Verbund-Wasserkraftportfolio gehören u.a. 128 Kraftwerke in Österreich und Bayern.

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