Cybergrooming-Prozess in Wien mit Dutzenden Opfern

Ein 20-jähriger Wiener gab sich in sozialen Netzwerken als Mädchen aus und brachte unmündige Buben dazu, pornografisches Material anzufertigen und ihm zu schicken.

"Irgendwann war es langweilig, Fotos und Videos anzuschauen. Ich wollte was Eigenes haben", gab der Angeklagte am Landesgericht Wien zu Protokoll. Er legte sich daher ein Fake-Profil zu, gab sich als 15-jährige Lisa aus und begab sich auf die Suche nach Buben. "Er ist besonders geschickt, nahezu perfide vorgegangen", erläuterte Staatsanwältin Anja Oberkofler, die dem Angeklagten seine HTL-Ausbildung für Informationstechnik zur Last legt. Er verstand aufgrund dessen, wie er seine Spuren verschleiert. Der 20-Jährige habe das erwachende sexuelle Interesse der Buben gezielt ausgenutzt und sie dazu gebracht, Nacktbilder von sich anzufertigen und ihm zu schicken, indem er vortäuschte, er wäre ein etwas älteres Mädchen, das ihnen im Gegenzug ebenfalls freizügige Fotos überlassen werde.

Hatte er entsprechendes Material, begann der Bursch seine Opfer unter Druck zu setzen, indem er ihnen drohte, er werde die Bilder im Internet verbreiten oder gar Klassenkameraden zukommen zu lassen. Damit brachte er etliche Opfer dazu, sich bei der Vornahme sexueller Handlungen zu filmen und ihm diese Aufnahmen zu überlassen.

Wie der Angeklagte am Dienstag einem Schöffensenat (Vorsitz: Norbert Gerstberger) freimütig darlegte, entdeckte er bereits im Alter von 15 Jahren, "dass ich auf Junge steh". Sein sexuelles Interesse habe sich auf Buben im Alter von zehn bis elf Jahren konzentriert. Das änderte sich auch nicht, als er älter wurde: "Ich wusste, dass das nicht normal ist, dass das strafbar ist." Zunächst sah sich der Jugendliche im Internet nach kinderpornografischem Material um, tauchte dabei auch ins Darknet ab und speicherte zu Hause die beschafften illegalen Dateien in zahlreichen Ordnern und Unterordnern ab.

"Ich bin alleine Schuld für das, was ich getan habe. Aber meine Mutter war sicher ein Faktor für diese Machtspielchen", meinte der Angeklagte, der in der Verhandlung einen ausgesprochen intelligenten Eindruck hinterließ. Seine Mutter habe sich nicht für ihn interessiert: "Sie wollte immer nur ihre Ruhe haben. Wenn sie das nicht bekommen hat, gab es Streit, Drohungen, Schläge." Es habe ihm Genugtuung bereitet, das Ohnmachtsgefühl, unter dem er daheim litt, auf andere zu übertragen und damit eine Machtposition auszuüben.

Kein Unbekannter vor Gericht

Im Frühjahr 2018 kam man dem damals 18-Jährigen nach ersten Anzeigen von Betroffenen auf die Schliche. Er wurde Anfang Mai in U-Haft genommen, ein länderübergreifendes Ermittlungsverfahren - Opfer fanden sich nicht nur in Österreich, sondern auch in der Schweiz, Deutschland und Serbien - kam ins Laufen. Nach einem Monat wurde der Schüler unter strikten Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Er musste sich einer Therapie unterziehen, zusätzlich wurde Bewährungshilfe angeordnet.

In ihren Berichten an die Justiz lobten Neustart und der Verein, bei dem er sich in Therapie begeben hatte, in den höchsten Tönen. "Er hat beide Einrichtungen getäuscht", berichtete die Staatsanwältin. Denn bereits kurz nach seiner Enthaftung machte sich der inzwischen Erwachsene wieder an Buben heran und besorgte sich Nacktbilder. Seit 12. März sitzt er wieder in U-Haft.

Laut Staatsanwältin konnten 40 Opfer des mittlerweile 20-Jährigen namentlich ausgeforscht worden. 14 von ihnen hatten ihm Material überlassen, das sie bei sexuellen Handlungen zeigte. Insgesamt konnten beim Angeklagten rund 650 Dateien mit entsprechendem Inhalt sichergestellt werden.

Cybergrooming als wachsende Gefahr

Unter Cybergrooming versteht man laut allgemeiner Definition die „onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes“ (§ 208a StGB). Cybergrooming passiere früher oder später fast jedem Kind, erklärt der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg gegenüber der Presse. Über das Smartphone haben Kinder unkontrollierten Zugriff auf das gesamte App-Angebot eines App-Stores.

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In Bezug auf Cybergrooming zeichnet Rüdiger gegenüber Techbook.de ein düsteres Bild: „Alle Dunkelfelduntersuchungen deuten auf ein Massenphänomen hin, das – so muss man es wohl sagen – zu einem normalen Bestandteil des digitalen Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum geworden ist.“

Die Anbahnung findet meist unter einem gefälschten Profil statt und das auf nahezu allen möglichen Plattformen. Von Facebook bis hin zu Online-Spielen. Die Täter nehmen dabei meist falsche Identitäten an, wie auch in dem oben erwähnten Fall.

>>> Rat auf Draht - Cybergrooming

(bagre)

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