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Ex-Renault-Chef flieht aus Japan

Im April wurde Ex-Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn in den Hausarrest entlassen. Nun nutzte er die Chance zur Flucht.
Im April wurde Ex-Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn in den Hausarrest entlassen. Nun nutzte er die Chance zur Flucht.(c) REUTERS (Issei Kato)
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Carlos Ghosn, ehemaliger Chef von Renault-Nissan, sollte im April wegen schwerer Finanzvergehen vor Gericht gestellt werden – er spricht von „politischer Verfolgung und Ungerechtigkeit“.

Tokio. Carlos Ghosn liefert der Welt einen Silvesterknaller der besonderen Art. Der geschasste frühere Chef der Allianz aus Renault, Nissan und Mitsubishi setzte sich zum Jahresende auf abenteuerliche Weise in seine alte Heimat Libanon ab. Der ehemalige Starmanager entzog sich damit der japanischen Gerichtsbarkeit, die für April einen Prozess gegen den früheren „Auto-König“ wegen Untreue und Fälschung von börsenrelevanten Dokumenten sowie massiver Steuerhinterziehung plante. So soll er seine finanziellen Zuwendungen von Nissan bei der Steuerbehörde nicht in voller Höhe angegeben haben. Dabei hätten ihm bis zu 15 Jahre Gefängnis gedroht.

Nach seiner gelungenen Flucht meldete sich Ghosn mit dem Statement: „Ich bin nun im Libanon und werde nicht mehr von einem manipulierten japanischen Justizsystem als Geisel festgehalten“. Der früher als Autogott verehrte Manager sagte weiter: „Ich bin nicht geflohen, sondern habe mich von Ungerechtigkeit und politischer Verfolgung befreit“. Im April kam der gesundheitlich schwer gezeichnete 65-Jährige gegen eine Kaution von umgerechnet 12,3 Mio. Euro sowie unter Auflagen aus der Untersuchungshaft frei und stand unter Hausarrest.

Bedingung dafür war unter anderem, dass er keinen Internetzugang haben durfte und nicht mit Personen sprechen sollte, die in das Verfahren involviert sind. Videokonferenzen mit seiner Frau waren nur nach spezieller Erlaubnis möglich. Vor allem aber war es Ghosn untersagt, das Land zu verlassen. Dafür musste er seine drei Pässe – aus Frankreich, Brasilien und dem Libanon – bei seinem Anwalt hinterlegen. Dieser zeigte sich dementsprechend von der Flucht überrascht, da sich nach seiner Aussage diese Dokumente noch im Safe der Kanzlei befinden.

Flucht in Kiste versteckt?

Wie Ghosn dennoch die Flucht gelang, bleibt zunächst unklar. Die Datenbank der japanischen Immigrationsbehörde weist keine legale Ausreise des Managers aus. Das Transportministerium jedoch sagte aus, dass ein privates Flugzeug am Sonntag einen Flugplatz in der Osaka-Präfektur ohne Personenkontrolle und Informationen über die Insassen Richtung Istanbul verlassen hat.

Mit offenbar derselben Maschine ist der Flüchtling dann in Beirut gelandet. Der libanesische Fernsehsender MTV Libanon berichtete, dass Ghosn sich in einer Kiste versteckt hat, die normalerweise für den Transport von Musikinstrumenten genutzt wird. Seine Einreise sei jedoch legal gewesen, da er sich mit einem gültigen französischen Pass legitimiert habe, so der libanesische Staatsminister Salim Jreissati. Japan und der Libanon unterhalten keinen Auslieferungsvertrag, sodass ein Gerichtsverfahren gegen Ghosn in Japan bis auf weiteres obsolet ist.

Japans Medien werten die Flucht als Verhöhnung der japanischen Justiz. Eigentlich hatte Ghosn verkündet, vor Gericht seine Unschuld zu beweisen, nun „verspottet er das Rechtssystem“, schreibt die Zeitung „Tokyo Shimbun“. Kritisiert wird aber auch die japanische Justiz, der „jämmerliches Versagen“ vorzuwerfen sei. Man hätte den als umtriebig geltenden Manager niemals auf Kaution aus der Untersuchungshaft freilassen dürfen. Nun sei die „sorgfältige Beweissammlung“ der Staatsanwaltschaft durch die Dummheit des Gerichts ruiniert.

Es gibt aber auch Stimmen, die von einem „Glücksfall“ für die Justiz sprechen. Wie hätte sie international dagestanden, wenn sich die Vorwürfe gegen Ghosn nicht schlüssig beweisen ließen?

Die spektakuläre Flucht eröffnet nun ein neues Kapitel in dem monatelangen Drama um den Sturz des mächtigen Automanagers, um den sich zwei widersprüchliche Geschichten ranken. Die Anklage sieht in dem 65-Jährigen einen Raffzahn, der japanische Geschäftsmethoden über Bord geworfen und im Laufe der Zeit völlig das Augenmaß verloren habe. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Ghosn mit seinem radikalen Sparkurs den zweitgrößten Autokonzern Japans vor dem Untergang gerettet und Nissan wieder in die schwarzen Zahlen manövriert hat.

Zu den Verdiensten des in Brasilien geborenen Sprosses libanesischer Auswanderer gehört die Formierung einer profitablen Autoallianz zwischen Renault und Nissan, die neben VW und Toyota die Weltspitze bildet. Der Sturz des übermächtigen Chefs nach seiner plötzlichen Verhaftung 2018 und späteren Entlassung bei allen beteiligten Unternehmen führte zu einer tiefen Krise dieses Verbundes. Dass durch die Ghosn-Affäre vertiefte Misstrauen zwischen den Japanern und den Franzosen trug unter anderem dazu bei, dass sich die von Renault favorisierte Fusion mit Fiat-Chrysler zerschlug und die konkurrierende PSA-Gruppe letztlich zum Zuge kam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2020)

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