Kirgisistan-Unruhen: Mindestens 2000 Tote befürchtet

Kirgisistan-Unruhen: Tausend Tote vermutet
Kirgisistan-Unruhen: Tausend Tote vermutet Von der kirgisischen Armee verprügelt und von seinen Eltern umsorgt (c) EPA (Sergei Ilnitsky)
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Die kirgisische Übergangsregierung schätzt die Opferzahl der jüngsten Unruhen im Land "zehnmal höher" als ursprünglich angenommen. Auf dem Land seien viele Tote sofort begraben worden.

Bei den blutigen ethnischen Unruhen im Süden der zentralasiatischen Republik Kirgisistan sind nach Schätzungen der Übergangsregierung etwa 2000 Menschen getötet worden. Die Zahl der bisher offiziell registrierten etwa 200 Toten liege aller Wahrscheinlichkeit nach um das Zehnfache höher, sagte die amtierende Präsidentin Rosa Otunbajewa in einem Interview der russischen Zeitung "Kommersant" (Freitag). Am Freitag besuchte sie die von Gewalt erschütterte Stadt Osch im Süden des Landes.

Bekleidet mit einer schusssicheren Weste landete Otunbajewa im Zentrum von Osch, das rund 300 Kilometer südlich von der Hauptstadt Bischkek liegt. "Ich bin hierhergekommen, um mit den Menschen zu sprechen und aus erster Hand zu erfahren, was hier passiert", sagte sie. "Wir werden alles tun, um die Stadt wieder aufzubauen", sagte Otunbajewa mit Blick auf die tagelangen Kämpfe und wies Kritik an ihrer Übergangsregierung zurück.

Tote werden sofort  begraben

"In den Dörfern gab es sehr viele Tote, und nach unserer Tradition werden sie sofort - spätestens bis Sonnenuntergang - unter die Erde gebracht", sagte Otunbajewa in Bezug auf die Totenzahl. Diese Leichen seien nicht gezählt worden. Andere offizielle Stellen hatten zuletzt geschätzt, 2500 Menschen könnten bei den schweren Kämpfen zwischen Kirgisen und Usbeken in den Regionen um Osch und Dschalal-Abad getötet worden sein.

Während sich die Kämpfe eine Woche nach ihrem Beginn wieder weitgehend gelegt haben, ist bei der Flüchtlingskatastrophe kein Ende abzusehen. Zehntausende Angehörige der usbekischen Minderheit versuchen weiter, in ihr benachbartes Mutterland zu fliehen. Usbekistan hatte jedoch nach der Aufnahme Zehntausender Flüchtlinge seine Grenzen geschlossen mit der Begründung, keine weiteren Kapazitäten zu haben.

Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO könnten von der Krise bis zu eine Million Menschen betroffen sein. Es handle sich bei dieser Zahl um ein "Katastrophen-Szenario", sagte der WHO-Koordinator für Hilfsprogramme, Giuseppe Annunziata, am Freitag in Genf. Danach könnten bis zu 300.000 Menschen zu Flüchtlingen werden, die das Land verlassen, und bis zu 700.000 Menschen zu Binnenflüchtlingen. Die zentralasiatische Republik hat gut fünf Millionen Einwohner.

Lage weiterhin gespannt

Mehr als zwei Monate nach dem Sturz des autoritären kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew gilt die Lage in dem Hochgebirgsland an der Grenze zu China weiter als extrem gespannt. Die Übergangsregierung von Otunbajewa hält Unruhen auch im Norden des Landes für möglich. Unklar war, ob die für den 27. Juni geplante Volksabstimmung über eine demokratische Verfassung wie geplant organisiert werden kann. Die Menschen im Süden des Landes baten Otunbajewa, den Termin um vierzig Tage zu verschieben. Die internationale Gemeinschaft hält das Referendum für dringend nötig, damit sich die politische Lage in der Ex-Sowjetrepublik stabilisiert.

Die USA haben sich besorgt über die anhaltende Gewalt in Kirgisistan geäußert. Vize-Außenminister Robert Blake sprach am Freitag nach dem Besuch eines Flüchtlingslagers im Nachbarland Usbekistan von einer humanitären Krise. Die kirgisische Übergangsregierung müsse alles unternehmen, um die Gewalt zu stoppen. Die Vorfälle müssten von einer internationalen Kommission untersucht werden, sagte Blake.

Krise in Kirgisistan


Ende vergangener Woche hatten sich im zentralasiatischen Kirgisistan langfristige Konflikte zwischen Kirgisistan und Angehörigen der usbekischstämmigen Minderheit in blutigen Auseinandersetzungen entladen.

Bei den Unruhen im Süden der ehemaligen Sowjetrepublik wurden nach Einschätzung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz "mehrere hundert" Menschen getötet. Die offiziellen Zahlen gingen von rund 200 Toten aus - mittlerweile werden über tausend Tote vermutet.

(Ag.)

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