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Jean Paul Gaultier: Aufhören, wenn es am meisten Spaß macht

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Nach 50 Jahren in der Mode beendet Jean Paul Gaultier, Enfant terrible der Pariser Couture, seine Karriere und lässt es zum Abschied mit einem Variété-Spektakel noch einmal so richtig krachen.

Was macht ein Designer, der genug von seiner langen Karriere in der Mode hat und feststellen muss: "Es gibt zu viel Kleidung, und zu viel Kleidung, die zu nichts gut ist." Hieße er etwa Helmut Lang, käme er vielleicht auf die Idee, für seine Schlussrunde vor versammelter Runde sein Archiv zu Kunstähnlichem einzuschmelzen. Jean Paul Gaultier jedoch ist nicht nur das Enfant terrible der (Pariser) Modewelt, sondern seit den Achtzigerjahren auch verlässlich deren Frohnatur. Darum passte es natürlich viel besser zu ihm, sich im Théâtre du Châtelet mit einer riesigen Party, quasi einem Variété-Spektakel, von seinen Freunden und Fans zu verabschieden.

Dass dies seine letzte Haute-Couture-Kollektion sein werde, die zugleich den Abschied Gaultiers aus der Modewelt bedeutet, verlautbarte der Designer erst vor wenigen Tagen in einem auf Twitter geposteten Video. Allemal besser so, als einen langsamen Fading-Out-Prozess zu durchlaufen, möchte man meinen. Wie in der französischen Presse zu lesen war, waren die Zahlen des Couture-Hauses zuletzt nicht mehr berauschend. Das Geld verdiente der Mutterkonzern Puig ohnehin mit Parfums, doch die Marke Gaultier, deren Gründer in den Achtzigerjahren zeitgleich mit Jean-Claude Montana und Thierry Mugler die Pariser Modebühne betrat und lang als Inbegriff eines urpariserischen und mit viel Humor ausgestatteten Modeschaffens galt, tat sich zuletzt schwer, eine jüngere Generation an Modekunden zu mobilisieren.

Was für ein Spektakel: Die letzte Couture-Show von Jean Paul Gaultier.
Was für ein Spektakel: Die letzte Couture-Show von Jean Paul Gaultier. (c) APA/AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT (ANNE-CHRISTINE POUJOULAT)

Im Begleittext zu seiner letzten Kollektion schrieb Gaultier nicht nur, siehe oben, "Il y a trop de vêtements", sondern folgerichtig auch, dass er darum auf die Idee verfallen sei, für sein letztes Defilee eine Art "Haute Couture Upcycling" zu betreiben. Er bediente sich also ausgiebig in seinem eigenen Archiv, verarbeitete Referenzen aus seiner langen Karriere, zitierte und variierte sich selbst. Matrosenleibchen gab es zu sehen, Verweise auf Bühnen- und Filmausstattungen (natürlich: Korsagen mit konischen Brustpartien à la Madonna), ethnisch inspirierte Looks – einmal auch eingeflochtene Hermès-Seidenschals, denn Gaultier war ja eine zeitlang Hermès-Hausdesigner, was aus heutiger Perspektive fast unvorstellbar anmutet.

Für die Show bediente sich Gaultier ausgiebig an seinem Archiv.
Für die Show bediente sich Gaultier ausgiebig an seinem Archiv. (c) APA/AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT (ANNE-CHRISTINE POUJOULAT)

Wenn Gaultier ruft, dann kommen – auch das ein Zeichen für seine Ausnahmestellung inter pares – die wichtigsten seiner Zunft: So fanden sich Nicolas Ghesquière, Dries van Noten, Christian Lacroix im Theater ein, mancher glaubte auch, den legendär scheuen Designer Martin Margiela (er begann als Gaultiers Assistent in den Achtzigern seine Karriere) im Publikum gesehen zu haben. Auf dem Laufsteg gaben sich indessen viele langjährige Begleiter Gaultiers die Ehre: Boy George war als fahrender Sänger angereist, unter den Models sah man etwa Amanda Lear und Rossy de Palma, Dita Von Teese, Yasmin Le Bon, Béatrice Dalle und Farida Khelfa. Manche Namen kennt man auch im Ausland aus dem Entertainment-Business, manche sind engstens mit der Pariser Modewelt verbunden. Und viele gehören wie Gaultier selbst der Generation "Le Palace" an, die sich in den Achtzigerjahren um jenen Nachtclub formierte, der das Pariser Pendant zum New Yorker Studio 54 sein sollte.

Doch Gaultier blieb sich und seiner Offenheit für das Neue, Junge und Ausgefallene auch beim Casting für seine letzte Coutureshow treu: Er hatte zuvor zu einem "Casting sauvage" eingeladen, also einem "wilden" Auswahlprozess der Models für sein Defilee, für den sich, wer immer wollte, anmelden konnte. Das Ergebnis war, und das verwunderte nicht, keine "France's Next Supermodel"-Auswahl, sondern eine so vielfältige Zusammenstellung von Menschen, wie sie auf den Straßen von Paris selbst zu sehen ist.

Und das ist natürlich absolut kein Zufall: Denn wenn Jean Paul Gaultier zeit seiner Karriere eines war, dann eben ein "couturier parisien". Mit seinem Ausscheiden aus dem Zirkus der Modewelthauptstadt geht dieser eine Leitfigur verloren – hoffentlich aber nicht zur Gänze ihr Sinn für Humor.  

>> Artikel auf „Nouvel Obs"

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