Thailand

Bangkoks Herz schlägt am Fluss

(c) Getty Images/iStockphoto (Katharina13)
  • Drucken

„Strom der Könige“ nennt man den Mae Nam Chao Phraya. Er ist eine amphibische Welt, die sich stetig wandelt. Während die Menschen Überliefertes bewahren, wächst an den Ufern eine ungestüme neue Skyline empor.

„Jack‘s Bar“ ist die coolste Bretterbude der Stadt. Auf Stelzen steht sie teils im Wasser, im Mae Nam Chao Phraya, und teils unter Bäumen an Land. Eiskaltes Bier und deftige Thaiküche gibt es da bis hin zu scharfen Knock-outs aus Thailands Süden. So ab Mittag hocken Ex-Pats und Reisende, von Althippies bis zu Businessmenschen mit aufgestelltem Polo-Kragen, und bisweilen ein paar Einheimische unter dem Kunst-Wellblechdach zusammen. Und je später der Abend, desto fideler die Gäste. Umringt von Luxushotels stillt Jack‘s Bar ein bisschen die Sehnsucht nach dem einfachen, naturnahen Leben.

Mit Glück ergattert man einen Logenplatz an der Reling und schaut auf den weiten Strom. Drüben liegt der Stadtbezirk Khlong San mit seiner neuen Angeber-Skyline. Inseln aus Wasserhyazinthen, gesprenkelt mit Styropor, schweben vorüber und ist man nicht schon einer, wird man hier und jetzt Philosoph.

Spirituelles Wasser

Wie Sicheln teilen schlanke Longtail-Boote die schlammbraunen Fluten, die sich durch das Häusermeer wälzen, röhren vorbei an Express-Schiffen, ausladenden Fähren, Ausflugs- und Linienschiffen, an gelben Müllbooten und winzigen Wassertaxis. Immer wieder tauchen fette Fische aus den Wellen auf. Tief liegen die Schiffszüge aus klobigen Lastkähnen im Wasser und stets haben sie ihre spirituelle Reiseversicherung dabei: Girlanden schmücken jedes Gefährt, um Mae Yanang gnädig zu stimmen, die Göttin der Reisenden. Dies- wie Jenseitiges, alles gleitet auf dem Fluss dahin.

(c) Getty Images/iStockphoto (splendens)

Wasser bedeutet den Thais alles, allein schon wegen des Reisanbaus. Siams erster Austausch mit der Welt fand auf dem Chao Phraya statt, mit seinem Fischreichtum ist er eine Nahrungsquelle. Wasser prägt das zeremonielle Leben wie den Festkalender der Gemeinschaft. Tempel werden von Naks, mythischen Wasserschlangen, bewacht, Buddha meditierte auf ihnen. Wasser dient ritueller Reinigung, fließt in ihre Sprache ein als „nám“ mit vielen Bedeutungen: Wasser der Augen, „nám daa“ – Tränen. Oder Wasser der Worte, „nám kham“, die Rede. Oder „nám dschaai“, die Zuwendung. Nirgendwo ist Bangkok so bei sich wie am Fluss. Aber warum nur, fragt man sich, treibt dann immer wieder Abfall im Chao Phraya? Warum empfängt dahintreibender Müll die Menschen aus aller Welt, die am Sathorn (Central) Pier ankommen und abreisen. Warum demütigen Bewohner wie Besucher das legendäre Wasser, indem sie ihre Plastikflaschen einfach darin entsorgen?

Tower um Tower

Auf beiden Ufern in Khlong San werfen neue Wolkenkratzer lange Schatten über das verschlungene Gewirr an Gassen und Häusern. Mitten drin leuchtet seit einem Jahr „Iconsiam“. Gibt es eine schönere Mall auf der Welt? Darüber markieren zwei 315 und 269 Meter hohe Türme mit Luxus-Wohnungen den vorläufigen Gipfel einer nie dagewesenen Bautätigkeit am Fluss. Kilometer entfernt von all den Bauten, die in den letzten dreißig, vierzig Jahren in den Himmel über Bangkok wuchsen – um Rachaphrasong etwa, Sathorn, Lumpini oder Sukkhumvit.

Eine stürmische neue Skyline glitzert am Fluss mit Designertürmen wie die spacig schimmernden „Banyan Tree Residences“ oder der 300-Meter-Turm des Luxushotels „Four Seasons“ – 73 Etagen, wo ewig ein Fischmarkt war. Einen Tower von über 400 Metern am anderen Ufer kreieren hiesige Architekten gemeinsam mit Adrian Smith + Gordon Gill aus Chicago, die höchsten Bauten weltweit ihre nachhaltige Handschrift verpassten, ob in Dubai, New York oder Shanghai. Um den geplanten „Unity Tower“, der 459 Meter hoch gegenüber von Jack's Bar entstehen sollte, ist es indes ruhig geworden.

Dort, am Wat Suwan Pier, taucht man nach drei Minuten mit der Fähre in einer schattigen Soi (so heißen all die kleinen Gassen Bangkoks) in den Häuserdschungel ein. Zu Nudelshops und kleinen Läden in verwitterten Holzhäusern, wo saftiges Grün aus Töpfen und Kästen wuchert. Über ihnen türmen sich die 35 Stockwerke des Luxushotels „Peninsula“ auf. Solche Lebensräume gehören ebenso zur DNA der Stadt wie die röhrenden, schrillen TukTuks mit ihren giftgrün und barbiepink gestreiften Sitzen, wie die glühenden Garküchen und die Tempel von überirdischer Schönheit.

(c) Getty Images/iStockphoto (daboost)

Werden solche Nachbarschaften den Boom überleben? Zehn Minuten zu Fuß von hier, die Straße Charoen Nakhon entlang, über der sich die Baustelle der Monorail Golden Line erhebt, arbeitet Stararchitekt Duangrit Bunnag nächst Khlongsan Market. Es gebe kaum noch freie Grundstücke in zentralen Flusslagen, sagt er. Kleinteilige Viertel eigneten sich nicht für Großprojekte, das vielfältige urbane Gewebe bleibe wohl erst einmal erhalten.

Design statt Marmelade

Bunnag war der Erste, der aus leerstehenden Lagerhäusern und Markthallen Neues schuf. Er schlüpfte mit seinem Studio unter das Dach einer einstigen Marmeladen-Manufaktur, die nun auch einen Shop für Wohnkultur, ein Café, einen Buchladen und das Restaurant „The Never Ending Summer“ mit der großen Flussterrasse beherbergt. Das Ganze nennt sich „The Jam Factory“ – Industrial Urban Design unter heiligen, mit farbigen Bändern geschmückten Banyan-Trees und Bodhibäumen. Unter solch einer Pappel-Feige erfuhr einst Siddharta Gautama im fernen Indien „Bodhi“, sein Erwachen zu Buddha. Hier schenken sie dem Ort ihre metaphysische Ruhe, und hier strömt dieser Mythos von Fluss vorüber.

Gegenüber in Bang Rak verwandelte Architekt Bunnag verrottende Lagerhäuser zum „Warehouse 30“, einen kreativen Hub für Möbelkonzepte, Kunst und Design inmitten des schillernden Milieus des „European Quarter“ mit seinen Faktoreien und historischen Botschaften. Dringender Zuwendung bedürfen hier viele Bauten. Das Objekt „Lhong 1919“, mit dem Schiff etwas flussaufwärts vorbei an Wolkenkratzern, Parks und Malls, hat es indes geschafft: Die Wanglees, die einst aus China kamen, konnten ihren 170 Jahre alten Handelsposten nun als Erinnerung bewahren. Obwohl er nach langem Leerstand von Wind, Wetter und Monsun gezeichnet war, riss man den Bau nicht ab, sondern restaurierte und „vakuumierte“ die Zeichen des Verfalls. Was für ein Ort! Hufeisenförmig öffnen sich seine Kontor-Bauten mit ihren Wandmalereien um den Schrein der Mazu, der Schutzgöttin der Fischer und Seeleute wie auch der Wanglees, die übers Meer kamen. Hier gibt es Shops für Kunsthandwerk, Mode und Ausstellungsräume, ein Café und ein Restaurant am Pier voller Design-Zitate einstigen Fernhandels.

(c) APA/AFP/MLADEN ANTONOV (MLADEN ANTONOV)

Ein paar mehr Minuten flussaufwärts reicht Kudi Chin, eines der ältesten Viertel noch viel weiter zurück in Bangkoks Lebenslauf. Vom Pier Tha Phak Khlong Talaad setzt eine Fähre dorthin über, wo sich die Kirche Santa Cruz erhebt. Maximal meterbreite Gassen führen vom Kirchplatz in ein Labyrinth aus Holzhäusern mit Marienbildnissen inmitten von verwunschenen Gärten. „Unsere Familie hat dieses Haus restauriert“, erzählt Khun Gatib im Patio mit portugiesischen Kacheln. Sie lädt in ein kleines Café und in das „Baan Kudi Chin Museum“ im ersten Stock ein, das der Vater kuratiert. Es stellt Menschen vor, die vor Jahrhunderten von Portugal aus ins Ungewisse aufbrachen, und denen dieser Kokon am Chao Phraya schließlich Heimat wurde.

Schwimmende Siedlungen

Wie ein verwittertes Schiff erhebt sich nebenan Kian Un Keng, einer der ältesten chinesischen Schreine des Landes. Gläubige lassen Räucherstäbchen glimmen und verneigen sich Richtung Altar, aus dem schwarz-roten Halbdunkel steigen Rauchschwaden empor zu Drachen, die symbolisch auf dem First wachen.

Leben am und auf dem Wasser war immer das Wesen von Krung Thep, wie die Thais ihre Hauptstadt nennen, seit sie vor 250 Jahren gegründet wurde. Bald schon entstanden auf dem Chao Phraya, seinen Seitenarmen und Kanälen Abertausende schwimmender Behausungen – so etwa zwischen Floß und Hausboot samt Laden, Lager und Wohnhaus, die an Pfählen verankert in langen Reihen verbunden waren. So sah es der Schriftsteller Joseph Conrad noch 1917 in „The Shadow Line“. Die Behausungen aus Schlamm, Gras und Bambus schienen ihm „of a vegetable-matter style of architecture, nests of an aquatic race“. Ihr politisches wie geistiges Herzstück ist bis heute die Insel Rattanakosin in einer Biegung des Stromes. Hier stehen auch die bedeutendsten Tempel und der Königspalast als Sitz des gottähnlichen Königs.

Gefahr der Versiegelung

Ohnegleichen sind Bangkoks Ufer, diese fragile Symbiose von Wasser und Land, die kleinteilige soziale Szenerie am Strom, an dem nichts dichter ist als die Geschichte und die Imagination von Thaisein. Für ihren Erhalt setzen sich die „Friends of The River“ (FoR) um den Landschafts-Architekt Yossapon Boonsom, die „Association of Siamese Architects“, zivile Gruppen und Communities gemeinsam in der „River Assembly“ ein. Sie suchen den Dialog mit der Stadtverwaltung. Denn das Flusspanorama ist bedroht durch das Projekt „River Promenade“, eine zehn Meter breite Betontrasse an beiden Ufern im Strom. Seit 2018 sind sie dank FoR deshalb auf der Watchlist gefährdeter Denkmäler des „World Monuments Fund“, dessen Motto „Saving Places, Empowering People“ für sich spricht.

Spätabends zurück am Central Pier ist die Flut der Pendler längst verebbt, sind die Tanz- und Restaurantschiffe durch, die Männer, die hier oft Mühle spielen, gegangen. Wie ein Schatten zieht ein Schiffszug vorbei. Längst auch ist das alte Paar auf dem Heimweg. Von seinem Sampan bietet es Tintenfisch an. Mit dem Licht auf die Leine gerichtet, an der das geplättete Getier hängt, paddeln sie mit ihrer schwankenden Nussschale von Restaurant zu Restaurant und verschwinden irgendwann im Dunkel der Nacht. Schwarz ist der Strom, und da vorne, in Jack's Bar, brennt noch Licht.

Tag und Nacht am Wasser in Bangkok

Erlebnis Chao Phraya:

Anfahrt via BTS Skytrain Station Saphan Taksin für Sathorn/Central Pier (Tha Sathorn), www.bts.co.th

Ab Tha Sathorn (Sathorn/Central Pier): Chao Phraya Bootsverkehr ab ca. 6 Uhr mit Linienbooten, www.chaophraya-expressboat.com

Hop on Hop off per Schiff: www.chaophrayatouristboat.com,www.en.chaophrayariverline.co.th

Schlafen am Strom:

„The Siam“: Exklusives Art Déco-Design Hotel nahe Altstadt, Hotelbootshuttle zu Tha Sathorn/Central Pier, www.thesiamhotel.com

„The Mandarin Oriental“: Weltberühmtes Luxushotel in Bestlage, Hotelbootshuttle zu Tha Sathorn/Central Pier, www.mandarin-oriental.com

„Inn a Day“: Kleines Hotel in der Altstadt nahe Königspalast, Tha Tien Pier, www.innaday.com

„Ibis Bangkok Riverside“: Kettenhotel, einfach und preiswert am Fluss, www.ibisbangkokriverside.com

Einkehren auf dem Strom:

Jacks Bar: Neben Hotel Shangri-La in Bang Rak, Toiletten nicht lady-like, www.jackandxbar.blogspot.com

www.facebook.com/xleksilombar

Essen am Strom:

Iconsiam: 2019 mehrfach ausgezeichnet als schönste Mall, Restaurants von Alain Ducasse bis Streetfood, Terrassen mit Blick über den Mae Nam Chao Phraya, www.iconsiam.com

The Never Ending Summer (Jam Factory): Thai-Küche in Loft-Architektur

Einmal im Monat „Knack Market“ – Hippie-Vibes, Musik, Kunsthandwerk

Khlong San Pier, www.facebook.com/TheNeverEndingSummer

Supatra River House: Thai-Küche in gehobenem Interieur, www.supatra-riverhouse.net

Above Riva: Thai-Küche im Riva Arun Hotel mit Blick auf Wat Arun Tha Tien Pier, www.nexthotels.com

Sterne-Küchen der Gegend:

Normandie-Grill, zwei Michelin Sterne, im Mandarin Oriental, www.mandarinoriental.de

Mezzaluna, zwei Michelin Sterne, im Lebua Hotel, https://lebua.com/restaurants/mezzaluna/

80/20, 1 Stern, www.8020bkk.com

Chef‘s Table, 1 Stern, im Lebua Hotel, https://lebua.com/restaurants/chefs-table/

Streetfood: am Khlong San Market, Khlong San Pier, Bang Rak Market, Sathorn/Central Pier

Informationen: Thailand Tourismus www.tourismusthailand.at

Bangkok River: www.bangkokriver.com

World Monuments Fund: www.wmf.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.