Die kinderlose Generation

kinderlose Generation
kinderlose Generation(c) Clemens Fabry
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Bereits 18 Prozent der Frauen über 45 sind kinderlos. Die Gründe dafür reichen von der Suche nach dem perfekten Zeitpunkt bis zur Unvereinbarkeit von Kind und Karriere – in der Realität und im Kopf.

Natürlich will ich Kinder. Ich warte aber seit Jahren auf den richtigen Zeitpunkt, vielleicht wird es genau daran scheitern“, antwortet Christina G. auf die Frage nach dem Kinderwunsch. Die Antwort kommt rasch, sie dürfte nicht das erste Mal darüber nachdenken. Der 30-jährigen Controllerin fehlt es weder am passenden Partner, mit dem sie seit rund zehn Jahren ihr Leben teilt, noch an einem sicheren Job. Dennoch fallen ihr unzählige Dinge ein, die den Gedanken ans Kinderkriegen nicht gerade versüßen.

„Das Hauptproblem ist, dass es eigentlich meine Entscheidung ist. Wenn ich zu meinem Freund sage, ich möchte Kinder, dann kriegen wir welche. Ich warte aber immer noch auf einen produktiven Vorschlag, wie wir das Ganze dann praktisch und organisatorisch lösen.“ Ihre beiden Freundinnen, mit denen sie im Gastgarten bei einem Glas Wein über das Thema Kinder sinniert, stimmen ihr zu. Susanne Nemeth teilt die Befürchtung, dass dann die Arbeit an ihr hängen bleibt. „Das ist ganz klar: Ich habe einen familienfreundlichen Job, also gehören die Kinder mir“, so die 30-jährige Gymnasiallehrerin.

Ähnliches kann sie derzeit bei ihren Kolleginnen beobachten. „Vor allem in der Maturazeit kriechen die Kolleginnen mit Kindern am Zahnfleisch, weil sie die Korrekturarbeiten erst dann machen können, wenn die Kinder schlafen. Die wenigen männlichen Kollegen, die kleine Kinder haben, sind hingegen immer fröhlich und ausgeschlafen“, schildert Nemeth ihre beunruhigenden Beobachtungen. Die dritte im Bunde, Barbara W., hat vielleicht sogar schon eine Lösung gefunden. „Ich überlege, Kinder zu adoptieren. Es gibt ohnehin so viele Kinder auf der Welt und ich bin nicht so ein Fan von kleinen Babys“, sagt die 30-jährige Angestellte einer Medienagentur.

Mit ihren Befürchtungen sind die drei nicht alleine. Ob sie dennoch Kinder bekommen werden, wird sich weisen. „Gewollte Kinderlosigkeit ist schwer zu messen, da der Kinderwunsch im Lebenslauf nicht stabil ist und sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Messung stellt. Wir wissen, dass junge Menschen Kinderlosigkeit nicht bewusst anstreben. Jene, die definitiv keine Kinder wollen und das schon sehr früh wissen, sind in der Minderheit“, sagt Christiane Rille-Pfeiffer vom Österreichischen Institut für Familienforschung, die das generative Verhalten inklusive Kinderwunsch in Österreich, Spanien und Schweden untersucht hat (siehe Interview). Josef Kytir von der Statistik Austria wird etwas konkreter: „18 Prozent der Frauen über 45 Jahre sind kinderlos. Wir erwarten, dass der Kinderlosenanteil bei jenen Frauen, die in den 70er- und 80er-Jahren geboren wurden, bei 22 bis 23 Prozent liegen wird. Es könnte sogar ein Viertel sein“, so der Bevölkerungsexperte. Erhebungen zu kinderlosen Männern gibt es keine.


Kinderfeind Bildung. Wer diese Kinderlosen sind, ist bekannt: gut ausgebildete Frauen, die in Städten wohnen und sich keiner Religion zugehörig fühlen. Tomáš Sobotka vom Institut für Demographie (VID) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften spricht ebenfalls von 18 bis 20 Prozent kinderlosen Frauen unter jenen, die Ende der 60er-Jahre geboren wurden. Je höher der Bildungsgrad, desto höher ist der Anteil der Kinderlosen. „30 Prozent der 40- bis 45-jährigen Frauen mit Universitätsabschluss sind kinderlos. Bei den gleichaltrigen Frauen in Wien liegt die Kinderlosenrate bei 25 Prozent“, sagt Sobotka. Unter den Nichtgläubigen haben gar 31 Prozent keine Kinder. „Das Gegenteil findet sich bei Frauen mit Migrationshintergrund: Sechs Prozent der Musliminnen sind kinderlos, fünf Prozent der Immigrantinnen aus der Türkei und neun Prozent der Frauen aus Ex-Jugoslawien“, so Sobotka.

Aber was hindert gut ausgebildete Städterinnen am Kinderkriegen? Auch hierfür kann Sobotka mit einer (europäischen) Studie aufwarten, und er stellt gravierende Unterschiede zwischen Frauen und Männern fest. Während Frauen als Hauptgrund für Kinderlosigkeit recht allgemein Zukunftssorgen angeben, fehlt Männern einfach die richtige Partnerin. Weiters führen beide das Aufrechterhalten des aktuellen Lebensstils an. Auch Christiane Rille-Pfeiffer konnte unterschiedliche Gründe für die Kinderlosigkeit ausmachen: „Während Frauen nach wie vor im Spannungsfeld zwischen Beruf und Familie stehen und sich meistens für eines entscheiden, hat Kinderlosigkeit bei Männern eher mit den Werten zu tun. Es fehlt an klaren Rollenbildern für den neuen Mann.“

Fakt ist, dass sich das Alter der werdenden Mütter immer weiter nach hinten verschiebt. Im Jahr 2009 bekamen Frauen ihre Kinder im Durchschnitt mit 30 Jahren. Erstgebärende waren mit 28,2 Jahren etwas jünger. Zum Vergleich: Im Jahr 1984 (in dem das Alter der Erstgebärenden erstmals ermittelt wurde) lag das Durchschnittsalter bei 26,6 bzw. bei 24,1 Jahren beim ersten Kind. Rille-Pfeiffer sieht darin auch die Hauptursache für Kinderlosigkeit. „Die Leute schieben die Fertilität so lange hinaus, bis es nicht mehr geht.“

Inwieweit die Wirtschaftskrise einen Einfluss hat, lässt sich nur vermuten. „Krisensituationen führen meist dazu, dass das Kinderkriegen um zwei, drei Jahre verschoben wird. Hat sich die Situation beruhigt, werden die Geburten nachgeholt“, so Statistiker Kytir. Vorausgesetzt, der Körper spielt noch mit. Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für demographische Forschung in Rostock spricht von einer aufschiebenden Wirkung ökonomischer Krisen: „Aufgrund des späteren Fertilitätsalters kann daraus eine lebenslange Kinderlosigkeit werden.“

Diese Erfahrung hat auch Marianne Wagner (Name von der Redaktion geändert) gemacht – ganz ohne Krise. Die 44-jährige Angestellte wollte eigentlich immer Kinder haben. Allerdings erst mit Mitte 30, wenn sie und ihr Mann beruflich gefestigt sind. „Es hat einfach nicht geklappt. Mit Ende 30 habe ich es zweimal mit einer In-vitro-Fertilisation versucht, das hat aber auch nicht funktioniert“, so Wagner. Sie und ihr Mann haben das „relativ locker“ genommen. „Was mich aber stört, ist, dass in den Medien immer vorgegaukelt wird, dass Kinderkriegen immer funktioniert. Ab 30 sinkt die Chance, schwanger zu werden, jedoch rapide“, meint sie. Auch wenn sie mit ihrer Kinderlosigkeit zufrieden ist, würde sie heute nicht mehr auf den idealen Zeitpunkt warten. „Heute glaubt man ja, es muss alles perfekt sein, vom Haus bis zum Kombi. Das stimmt aber nicht. Meine Eltern hatten nichts, und wir waren sehr glücklich.“


Unvereinbarkeit im Kopf. Liegt es also nur an der Suche nach dem richtigen Zeitpunkt? Und was müsste sich ändern, damit mehr Paare ja zu Kindern sagen? Demographin Michaela Kreyenfeld stellt fest: „In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es zwar schon eine moderne Frauenpolitik, aber Familienpolitik ist noch an traditionellen Rollenbildern orientiert. Das Problem der Unvereinbarkeit besteht nicht nur auf der Ebene der Betreuung, sondern auch in den Köpfen. Außer-Haus-Betreuung wird nach wie vor als schlecht empfunden“, so die Soziologin. Auch Christiane Rille-Pfeiffer sieht noch Aufholbedarf in der Familienpolitik. „Rahmenbedingungen wie Betreuungseinrichtungen sind wichtig, ohne die geht es natürlich nicht. Aber es müsste sich auch in der Wertediskussion etwas ändern. Im deutschsprachigen Raum ist das Familienleitbild der Kernfamilie noch stark vorhanden – inklusive der traditionellen Rollenverteilung. Diese Aufteilung funktioniert aber nicht mehr, jeder müsste seinen Beitrag leisten.“

Auch die 30-jährige Christina G. ist davon überzeugt. „Es gibt einfach noch keine gute Lösung. Ich möchte zwar Kinder, aber ich habe Angst, ständig eine abgehetzte Mutter zu sein“, meint die Controllerin. Ihre Freundin Barbara W. gibt die Hoffnung nicht auf – zumindest für die nächste Generation: „Vielleicht sind wir gerade noch die letzte Generation in dieser falschen Zeit. Und in 20 Jahren ist es bei uns schon wie in Schweden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2010)

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