Israel

Überraschender Wahlsieg für Benjamin Netanjahu

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu liegt laut Prognosen vorn.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu liegt laut Prognosen vorn.APA/AFP/GIL COHEN-MAGEN
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Hohe Wahlbeteiligung begünstigt den Premier bei der dritten Wahl in elf Monaten. Sogar eine absolute Mehrheit war in Reichweite.

Wien/Jerusalem. „Bibi“ Netanjahu, den seine Anhänger den „Magier“ nennen, könnte einen großen Coup gelandet haben – einen doch überraschenden Sieg bei der dritten Wahl in elf Monaten in Israel. Darauf deuteten Wählerbefragungen der drei wichtigsten israelischen TV-Sender unmittelbar nach Schließung der Wahllokale am späten Montagabend. Die Exit Polls prognostizierten der Likud-Partei des Premiers und dem Rechtsblock einen deutlichen Vorsprung vor dem Oppositionsbündnis Blau-Weiß seines Herausforderers Benny Gantz und dem Mitte-Links-Block.

Die Regierungspartei Likud kommt demnach auf 37 Sitze, die Allianz Netanjahus mit den religiösen und national-konservativen Parteien auf 59 Sitze. Zur absoluten Mehrheit fehlen indes zwei Mandate in der 120 Sitze umfassenden Knesset, dem Parlament in Jerusalem. Bei einer Wahlparty in der Likud-Zentrale in Tel Aviv sprach der am längsten amtierende Premier Israels von einem „enormen Sieg für Israel“, einem Sieg gegen alle Widrigkeiten. „Was für eine Freude rief er den Anhängern zu, die ihn stürmisch feierten und weiß-blaue Fähnchen mit dem Davidstern schwenkten. Widersacher Benny Gantz akzeptierte dagegen schweren Herzens die Wahlschlappe. „Wenn es das ist, was die Wähler wollen...“ Gantz räumte ein, dass er "ein anderes Ergebnis" erwartet habe. "Ich teile Eure Gefühle der Enttäuschung und des Schmerzes", rief der frühere Generalstabschef der israelischen Armee Anhängern in Tel Aviv zu. 

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Ausschlaggebend dürfte die hohe Wahlbeteiligung gewesen sein und die Mobilisierung des begnadeten Wahlkämpfers Netanjahu, der sich für keinen Trick zu schade war, auf Angstpropaganda baute und nicht zuletzt den Nahost-Friedensplan des US-Präsidenten zu Gunsten Israels vorweisen konnte. Zudem dürfte sich ausgezahlt haben, dass er kreuz und quer durch die jüdischen Siedlungen im Westjordanland tourte, wo er die baldige Annexion durch Israel in Aussicht stellte. Es bestätigte sich die Einschätzung des US-Nahost-Experten Aaron David Miller, wonach der israelische Premier womöglich über mehr als sieben Leben verfüge. Dies ist umso bemerkenswerter, als Netanjahu in drei Korruptionsfällen unter Anklage steht. Der Prozess soll bereits in zwei Wochen in Jerusalem beginnen.

Auftrag zur Regierungsbildung

Präsident Reuven Rivlin, der nie als großer Fan seines Ex-Parteifreunds Netanjahu galt, wird nun nicht umhinkommen, den Premier mit Verhandlungen über die Regierungsbildung zu betrauen. Vergeblich hatte er im Vorjahr zwei Mal versucht, die Rivalen Netanjahu und Gantz in eine Regierung der nationalen Einheit zusammenzuspannen. Bei der Stimmabgabe in Jerusalem zeigte sich der Staatschef noch zerknirscht. Eigentlich, so führte er aus, sollte der Wahltag ein Festtag der Demokratie sein. Aber der 80-Jährige machte kein Hehl aus seinem Frust, den er vermutlich mit der Mehrheit seiner Landsleute teilt. „Ich schäme mich. Wir haben das nicht verdient.“ Er spielte auf den Dauerwahlkampf seit Dezember 2018 an, auf die Schmutzkampagne und die „endlose Phase der Instabilität“.

Trotz Unkenrufe über Wahlmüdigkeit und Desinteresse hat sich am „Murmeltiertag“, der dritten Wahl, die größte Wahlbeteiligung seit 20 Jahren abgezeichnet – und dies trotz der grassierenden Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus. Um den mehr als 5000 Israelis, die derzeit in häuslicher Quarantäne zubringen, die Möglichkeit für ein Votum zu geben, hat die Wahlbehörde sogar eigene Schutzzelte aufgestellt.

„Corona oder Bibi?“ – „Tibi oder Bibi?“

Manche reagierten mit Galgenhumor: „Corona oder Bibi?, fragte eine Wählerin in Anspielung auf Netanjahus Spitznamen. „Dann lieber Corona.“ Doch Netanjahu hat wieder einmal mit Angstpropaganda mobil gemacht, wie vor fünf Jahren, als er davor gewarnt hatte, dass die israelischen Araber in Scharen in die Wahllokale schwärmen würden. „Tibi oder Bibi?“, fragte er jetzt seine Anhänger, die ihn ungeachtet der Anklage in drei Korruptionsaffären als „König von Israel“ verehren. Es sollte suggerieren, dass Gantz ohne Ahmet Tibi, einen Arzt und prominenten israelisch-arabischen Abgeordneten der Vereinigten Liste, keine Koalition bilden könne.

Das Patt in Israel schien jedenfalls durchbrochen. Möglicherweise kommt es wieder auf Avigdor Liebermans rechtsnationale Partei „Unser Haus Israel“, an, das Zünglein an der Waage zu spielen. Er erzielte laut den Exit Polls sechs bis acht Mandate. Ex-Minister Lieberman war wegen der Befreiung der Orthodoxen von der Wehrpflicht in einem taktischen Manöver aus der Rechtskoalition ausgeschert. Likud-Parteigänger und der Premier selbst zeigten sich überzeugt, dass es gelingen könnte ,zwei Abgeordnete aus anderen Parteien zum Überlaufen zu bewegen, um doch eine absolute Mehrheit in der Knesset zu erreichen. Dann könnte sich auch der Wunsch Reuven Rivlins erfüllen, erst im Jahr 2024 zur nächsten Wahl zu schreiten.

Vor dem Prozess in drei Anklagepunkten ist der Premier nunmehr moralisch gestärkt. Wie seinem Vorgänger Ehud Olmert droht ihm zwar eine Gefängnisstrafe, aber das Verfahren könnte sich über Jahre hinziehen. Netanjahu wird bei einer Verurteilung wohl weiter im Amt bleiben – sofern ihm dies der Oberste Gerichtshof nicht untersagt. Anders als Olmert, der nach einer Rücktrittsaufforderung durch den damaligen Oppositionschef Netanjahu 2009 die Konsequenzen zog, denkt der Langzeit-Premier nicht im Entferntesten an einen Rücktritt.

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