Die Ich-Pleite

Eine neue Krisenchance

(c) Carolina Frank
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Krisen sind Chancen, hört man immer wieder. Bei manchen Krisen stimmt das auch.

Nehmen wir nur die Bankenkrise. Ohne die Lehman-Pleite im Jahr 2008 wären die Banken heute nicht so sicher. Aber auf die Krisenchance ist natürlich kein Verlass. Die Flüchtlingskrise hat uns nur für ein paar Monate zu besseren Menschen gemacht. Mit der Coronaviruskrise haben wir eine neue Krisenchance. Erste positive Anzeichen gibt es schon. So soll in Chinas Großstädten die Luft derzeit so sauber sein wie zuletzt vielleicht vor der Kulturrevolution. Man könnte endlich ohne Schutzmasken einkaufen gehen. Ich bin kein Mediziner, aber wer weiß, wie viele Menschenleben das Coronavirus rettet, weil die Produktion stillsteht. Und bei uns? Natürlich ist es schade, dass Kongresse (= Arbeitszeit ohne Chefbeobachtung) abgesagt werden. Dafür darf man zuhause bleiben, wenn man vor Kurzem in Italien war. Ich will niemanden auf Ideen bringen, aber wer kontrolliert schon ein Urlaubsziel, oder? Und in Paris, der Hauptstadt der Begrüßungsküsschen, ist plötzlich das „Arm-Crapping“ en vogue. Die ganze Begrüßungsdiplomatie (geben wir uns noch die Hand oder sind wir schon per Küsschen?) wird endlich überflüssig. Ganz zu schweigen von Peinlichkeiten wie den vergeblich in die Luft gespitzten Lippen. Wenn das Virus noch lang grassiert, winken wir uns vielleicht nur mehr zu. Am besten von der anderen Straßenseite aus. Evolutionär ist die Menschheit ja schon länger dabei, sich an Phänomene wie das Corona­virus anzupassen. Die Speerspitze ­bilden die Nerds. Sie beweisen: Der Mensch kann problemlos in Quarantäne gehalten werden. Wochenlang, wenn es sein muss. Man muss ihm nur genügend Pizzaschachteln vor die Tür stellen.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 13.03.2020)

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