Arzneimittelversorgung

Wenn’s in der Apotheke „bitte warten“ heißt

Beard man shopping in pharmacy
Beard man shopping in pharmacy(c) Getty Images (vm)
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Medikamentenmangel hat viele Ursachen. Um die Situation zu verbessern, muss an mehreren Schrauben gedreht werden.

So mancher wird es selbst erlebt haben, viele haben davon gehört oder gelesen: Es kommt schon seit geraumer Zeit gehäuft vor, dass ein Arzneimittel nicht vorrätig ist. Und zwar nicht nur in einer speziellen Apotheke, sondern es ist generell schwierig, bestimmte Medikamente zu bekommen. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um teure, exotische Präparate. Im Gegenteil, oft sind gerade breit eingesetzte Medikamente betroffen, die schon lang auf dem Markt sind. Seit Beginn der Ausnahmesituation Corona, in der die Apotheken einen außergewöhnlichen Ansturm zu bewältigen haben, sind nicht erhältliche Arzneimittel kaum mehr öffentliches Thema. Ganz anders in den Wochen vor Corona: Das Problem von Lieferengpässen oder überhaupt nicht lieferbaren Medikamenten beschäftigte Medien und die Verantwortlichen. Selbst von Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung war die Rede.
Corona hat die Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln nicht gelöst. Sie bestehen nach wie vor. Produzenten und Großhändler von Pharmazeutika werden allerdings nicht müde zu betonen, dass nur rund ein Prozent der Medikamente betroffen sei und daraus keine Gefahr für die Gesundheit resultiere. „Wir haben in Österreich nur in ganz wenigen Bereichen Lieferschwierigkeiten“, sagt Andreas Windischbauer, Präsident der Phago, der Interessenvertretung des österreichischen Arzneimittelvollgroßhandels. Es stehe immer ein wirkstoffgleiches Produkt oder eine therapeutische Alternative zur Verfügung, versichert er.

»Ein wirkstoffgleiches Produkt oder eine therapeutische Alternative stehen immer zur Verfügung.
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Andreas Windischbauer

Umstellung oft Unbeliebt. Alternativen machen Patienten nicht immer Freude, wissen Mediziner und Apotheker. Vor allem ältere Menschen, die an „ihr“ Arzneimittel gewöhnt sind, klagen bei einer Umstellung auf ein anderes Präparat. Und Schwierigkeiten mit einem anderen Arzneimittel zu haben, ist nicht immer Resultat subjektiver Wahrnehmungen: In einem ORF-Bericht nannte ein Mediziner ein zu injizierendes Magenschutzmittel als Beispiel. Magenschutztabletten seien kein Ersatz dafür, wenn der Patient aufgrund starker Übelkeit die Pillen immer wieder erbricht.
Ärger machen Lieferschwierigkeiten auf jeden Fall: Erfahren betroffene Patienten erst in der Apotheke, dass ihr Präparat nicht erhältlich ist, müssen sie nochmals zum Arzt und sich ein anderes Rezept ausstellen lassen. Die Apotheker haben zusätzliche Arbeit: Sie müssen einerseits die Kunden in Sachen Alternativen beraten und andererseits nicht lieferbare Medikamente auftreiben: „Dass aus Lieferengpässen keine Versorgungsengpässe werden, liegt zu einem großen Teil an der täglichen Arbeit der Apotheken. Sie organisieren Arzneimittel, die dringend benötigt werden – von anderen Apotheken oder Großhändlern“, betont Jürgen Rehak, Präsident des Österreichischen Apothekerverbands.

Temporäre Exportverbote. Wegzuleugnen sind die Versorgungslücken bei Medikamenten jedenfalls nicht. Das meint Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der Ages Medizinmarktaufsicht im Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen: „Die Lieferengpässe haben ein Ausmaß erreicht, dass wir über Maßnahmen nachdenken müssen, um Verbesserungen zu erreichen.“ Einen ersten Schritt haben die Behörden gesetzt. Seit 1. April müssen Lieferverzögerungen an ein öffentlich einsehbares Verzeichnis des BASG gemeldet werden. Solange das Produkt in diesem Register aufscheint, gibt es ein temporäres Exportverbot.


Das sollte eine Besserung bringen. Als einen wesentlichen Grund für die Lieferprobleme nennen nämlich vor allem Pharmaproduzenten Reexporte von Medikamenten ins europäische Ausland. Der Dachverband der Sozialversicherung sorge in Österreich für Medikamentenpreise, die teilweise unter dem europäischen Niveau liegen, behaupten die Erzeuger. Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig, der Interessenvertretung der österreichischen pharmazeutischen Industrie: „Wir sind ein europäisches Niedrigpreisland, das verführt Großhandel und Apotheken, Medikamente teurer ins EU-Ausland zu verkaufen.“ Als Beweis führt Herzog an, dass die Pharmaproduzenten den österreichischen Markt mit bestimmten Medikamenten mitunter überbeliefern und es trotzdem zu einer Knappheit komme. Herzog begrüßt die Verordnung, die Exporte von Medikamenten, bei denen es Lieferzögerungen gibt, untersagt. „Die Regelung ist auch aufgrund unseres Drängens entstanden, da wir in der ganzen Diskussion unschuldig zum Handkuss gekommen sind“, sagt er.

Mehr Transparenz gefragt. Der umstrittene Export von Medikamenten im Rahmen des sogenannten Parallelhandels ist innerhalb Europas nicht grundsätzlich verboten. Das österreichische Arzneimittelgesetz sieht aber eine Verpflichtung aller Beteiligten zur Versorgung des österreichischen Marktes vor. Theoretisch dürfe daher nur die über dem Inlandsbedarf liegende Menge im Rahmen des sogenannten Parallelhandels exportiert werden. „Es gibt allerdings keine genauen Statistiken. Immer wieder kommt es auch vor, dass Medikamente im Rahmen des Parallelhandels nach Österreich importiert werden“, erläutert Wirthumer-Hoche. Sie wünscht sich deshalb grundsätzlich mehr Transparenz auf diesem Markt: „Das ist eines unserer großen Ziele, zu dem die nun in Kraft getretene Verordnung beitragen soll.“ Der Pharmahandel will sich den Schwarzen Peter allerdings nicht zuschieben lassen. Phago-Präsident Windischbauer weist vehement zurück, dass der Parallelhandel die Schwierigkeiten bei der Versorgung des Landes mit Medikamenten verursache: „In Österreich klagen vor allem Krankenhäuser über Lieferengpässe und diese werden nicht vom Handel, sondern direkt von der pharmazeutischen Industrie beliefert.“ In der Schweiz, berichtet Windischbauer weiter, wo keine Exporte erlaubt sind, seien Lieferengpässe ebenfalls immer wieder Thema. Und ganz besonders beklagt auch Deutschland, das Zielland des Parallelhandels sei, Versorgungsprobleme.

Doctor gives a medication to senior woman
Doctor gives a medication to senior woman(c) Getty Images (Georgijevic)

Konzentration der Produktion. Nach Ansicht des Pharmahandels werden Verzögerungen bei der Arzneimittelversorgung großteils von der Industrie verursacht, folgert deshalb Windischbauer für den Pharmazeutikahandel: „90 Prozent aller Lieferprobleme resultieren aus der Konzentration der Fertigungsstätten in China und Indien.“ Überdies seien die Zentrallager der Pharmaunternehmen an wenigen Orten konzentriert. „Auch das führt immer wieder zu Schwierigkeiten“, meint er.
Differenziert beurteilt Wirthumer-Hoche die Situation: „Die Gründe für Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten sind multifaktoriell. Man kann nicht behaupten, es gebe nur einen einzigen Grund.“ Der Parallelhandel spiele ebenso eine Rolle wie Fusionen von Konzernen und die daraus resultierende Bereinigung der Programme oder wirtschaftliche Überlegungen. Die Konzentration auf wenige Standorte in Asien trage ebenfalls zu den Problemen bei: „Es ist eine Tatsache, dass die Produktion von Medikamenten, vor allem von jenen, bei denen der Patentschutz ausgelaufen ist, aus Kostengründen sehr oft nach China und Indien verlegt worden ist“, sagt sie.

Generika gehen nach Asien. Dass die Fertigung von Arzneimitteln an nur einem oder zwei Standorten weltweit mitunter Schwierigkeiten bringt, streiten die Hersteller nicht ab: „Natürlich können Probleme in der Produktion oder in der Logistikkette zu Verzögerungen führen“, sagt Pharmig-Generalsekretär Herzog. Das sei aber nur ein Teil des Problems, meint er: „Lediglich bei einem Viertel der Medikamente, die nicht geliefert werden können, gibt es solche Ursachen.“ Und vor allem bestehen für die Verlegung der Produktion bestimmter Medikamente nach Asien – vieles wird nach wie vor hierzulande produziert (siehe Kasten) – konkrete Gründe: Die Herstellung in Ländern mit wesentlich günstigeren Produktionskosten sei vor allem aufgrund des großen Preisdruckes notwendig, der insbesondere bei Generika besteht.

„Es gibt Produkte, die seit zehn oder 20 Jahren zu einem mehr oder weniger unveränderten Preis am Markt sind“, sagt Herzog. Dazu kommen immer höhere Auflagen von Seiten des Gesetzgebers, die ebenfalls zusätzlichen Aufwand verursachen. „Jede andere Firma kann solche Kosten aufs Produkt umlegen.“ Dass Pharmaunternehmen gut verdienen, streitet er nicht ab, „aber von Margen wie manche andere Branchen können wir nur träumen“. Außerdem sei die Forschungstätigkeit kostenintensiv und riskant: „Zwei bis 2,5 Milliarden Euro Entwicklungskosten für ein neues Medikament sind nicht ungewöhnlich. Und wenn man Pech hat, wird das Produkt kein Erfolg.“

Produktion zurückholen? Einer teilweisen Verlegung der Produktion nach Europa stünde die Industrie durchaus aufgeschlossen gegenüber – wenn die Mehrkosten durch das wesentlich höhere Lohnniveau durch die Medikamentenpreise gedeckt sind. „Dabei geht es nicht um hohe Beträge. Für den Endverbraucher wären es nur wenige Cent“, erklärt Herzog. Aktivitäten zur Produktionsverlagerung gibt es bereits auf europäischer Ebene. Im Rahmen der EU-Initiative IPCEI (Important Projects of Common European Interest) sollen Projekte gefördert werden, die den Life-Science- und Health-Sektor stärken. Anfang des Monats fand dazu ein Treffen zwischen Ministerin Margarete Schramböck und Vertretern der Pharmabranche statt. Die Wirtschaftsministerin betonte, dass sich Europa gerade bei Schlüsseltechnologien nicht in die Abhängigkeit Asiens begeben dürfe: „Das Coronavirus war ein Weckruf, den Bereich der Medikamentenherstellung in Europa und Österreich zu forcieren.“ Diese Ziele sind nur langfristig zu verwirklichen. Und selbst dann wird nicht völlig zu verhindern sein, dass es bei Medikamenten mitunter „bitte warten“ heißt – aus welchen Gründen auch immer.

Gesundheitsinfo:

Made in Europe

Nicht alle Medikamente kommen aus Asien. Die Pharmaproduktion ist in Europa durchaus noch ein wichtiger Faktor: Allein in Österreich haben heimische und vor allem internationale Pharmaunternehmen in den letzten drei Jahren mehr als 2,5  Milliarden Euro in den Aus- und
Neubau bestehender Produktionsanlagen investiert. Insgesamt sind in Österreich rund 150  Betriebe mit etwa 18.000 Mitarbeitern in der Pharmaproduktion tätig. Sie erwirtschaften 4,8 Milliarden Euro an direkter Wertschöpfung.

Mehr Transparenz

Seit 1. April gibt es eine gesetzliche Verpflichtung zur Meldung von Lieferverzögerungen bei Medikamenten. Bei einer voraussichtlichen Nichtlieferfähigkeit eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels ab zwei Wochen muss der Zulassungsinhaber dies an das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen melden. Diese Produkte unterliegen dann, solange sie in diesem Register aufscheinen, einem temporären Exportverbot. Das Register ist öffentlich einsehbar. In Zukunft soll es auch mit von Ärzten in den Ordinationen verwendeten Programmen kompatibel sein. Damit will man erreichen, dass Mediziner – falls erforderlich – von sich aus dem Patienten ein gleichwertiges anderes Medikament verschreiben.

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