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Der "kleine" Song Contest: Wenn peinliche Stille siegt

Daði Freyr / Screenshot Youtube
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Die Isländer Daði & Gagnamagnið wirkten wie vom Raumschiff Enterprise auf die Erde gebeamt. Sie überragten alle anderen beim von Andi Knoll brav präsentierten „kleinen“ Song Contest, der bis Samstag alle geplanten Beiträge vorstellt.

Der Fußball ist ihm zwar mittlerweile vom Ferserl zur Leibesmitte hinaufgewandert, aber punkto Schmäh macht ihm immer noch niemand etwas vor: Andreas Ogris charmierte bei „Der ,kleine‘ Songcontest“ mit trockenen Bonmots, abseits aller angelernten Sportlerrhetorik. Zuweilen genügte es, wenn er sein Ungemach körpersprachlich ausdrückte. Herrlich zwider schaute er zudem drein. Und wenn er „Wird des irgendwaun schnölla, oder bleibt des so?“ knurrte, war klar, wo der Hammer hängt. Im Vergleich wirkten die mittelschülerhaften Einschübe von professionellen Spaßisten wie Thomas Maurer mau.

Der floral tätowierte Moderator Andi Knoll befleißigte sich einer Sprache der Herzigkeit. Selten perlte ihm etwas Maliziöses von den Lippen. Bei der polnischen Sängerin Roxen passierte es allerdings: „Sie hat den Lidschatten auf die Zahnspange abgestimmt“, urteilte er. Dabei transponierte sie nur tapfer Billie Eilish in Ostblock-Ästhetik. Mehr Moll, mehr Pathos, mehr Schminke.

Auf schlechte Songs aus Großbritannien ist Verlass

Dass mehr weniger sein kann, bewiesen die Spanier. An „Universo“, dem Lied des Sängers Blas Cantó, haben fünf namhafte Komponisten gewerkt, es wurde ein Mahnmal falscher Bedeutungsschwere.
Nach jedem Lied erfolgte die Bewertung durch zehn ehemalige österreichische Song-Contest-Teilnehmer mit recht heterogenem Geschmack. Bulgarien etwa bekam dreimal die Höchstnote, aber auch zweimal nur einen Punkt. Überraschend übellaunig war die aus Simone und Petra Frey bestehende Schlagerfraktion. „Für den Frieden in der Welt“ hat Frey einst gesungen, an diesem Abend aber gab sie sich mit zahlreichen Ein-Punkt-Vergaben kriegerisch. Verlass war auf die traditionell schlechte Beschickung des ESC durch die Popnation Großbritannien. James Newman, an sich ein guter Sänger, röchelte sich „My Last Breath“ aus dem Beuschel. Eine selten öde Mainstreamballade. Sehr gut war hingegen der niederländische Beitrag. Jeangu Macrooy sang die melodiöse Midtemponummer nuanciert. Für ihn muss kein neuer Beruf gesucht werden, wie es Alf Poier für die polnische Sängerin vorschlug.

Die belgische Formation Hooverphonic geizte bei „Release Me“ nicht mit Subtilitäten, was beim ESC meist schlecht ankommt. Grobe Reize sind dort ideal, alles Halbgescheite ist gefehlt. Und wer sich in eine Fantasie von sich selbst träumt, stürzt verlässlich ab. Die Kamera leuchtet erbarmungslos jede Diskrepanz zur realen Verfassung aus. Reüssieren kann nur, wer seine authentische Identität in die Waagschale wirft.

Frech und minimalistisch: Island

Das trauten sich die wenigsten. Am meisten das isländische Ensemble Dađi & Gagnamagniđ, das wirkte wie vom Raumschiff Enterprise auf die Erde gebeamt. Sein Video begann mit einem flötenspielenden Mädchen in einem Wohnzimmer, die mit Omnichord vorgetragene Popnummer „Think About Things“ überzeugte in ihrem Minimalismus. Frech wurde die Verständnislosigkeit des Publikums mitinszeniert. Am Ende herrschte peinliche Stille, ehe zaghafter Applaus einsetzte. Herrlich, wie hier Ängste und Ignoranz auf die Schaufel genommen wurden.

Weitere Termine: 16. und 18. April, 20.15 Uhr, ORF 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2020)

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