Der durch seinen Einsatz traumatisierte Ex-UN-Soldat Zomer wagt am Schreckensort einen Neuanfang.
SREBRENICa.Als Berufssoldat war der Mann aus Haarlem im Alter von 27 Jahren Anfang 1995 zum Höhepunkt des Bosnienkriegs nach Srebrenica entsandt worden. Die Blauhelme des UN-Bataillons „Dutchbat“ sollten für die Sicherheit der Zivilbevölkerung der belagerten Muslim-Enklave sorgen. Als die bosnisch-serbischen Truppen unter General Ratko Mladić am 11.Juli schließlich in die Enklave einmarschierten, bot Dutchbat angesichts ausbleibender Luftentlastung den hoch überlegenen Eroberern keine Gegenwehr.
Die Bilder des Dutchbat-Kommandanten Ton Karremans, der sich von Ratko Mladić zuprosten ließ, gingen später genauso durch die Weltpresse wie die Aufnahmen von Blauhelmen, die den von ihren Männern getrennten Frauen und Kindern in die Busse halfen.
Doch nicht nur das Entsetzen über die in Srebrenica begangenen Verbrechen, sondern auch die harte Kritik der niederländischen Medien an den Blauhelmen sollten Zomer nach seiner Rückkehr bald sein inneres Gleichgewicht verlieren lassen. Den durch den Tod eines Kameraden kurz vor dem Fall der Enklave und den dramatischen Abzug ohnehin angeschlagenen Soldaten begannen zunehmende Selbstzweifel zu plagen. Seinen in Srebrenica angesparten Sold hatte der traumatisierte Srebrenica-Veteran in wenigen Wochen durchgebracht.
Zwei Jahre litt Zomer danach an sogenannten „Posttraumatischen Belastungsstörungen“ (PTBS), bevor er sein Leben endlich wieder in den Griff bekam und als Selbstständiger einen der größten Schlüsseldienste der Niederlande aufbaute.
Schon bald nach Ende des Bosnien-Kriegs habe er das Verlangen verspürt, noch einmal nach Srebrenica zurückzukehren, erzählt der Unternehmer. Doch erst als er 2008 durch den niederländischen Veteranen-Verband von der Einladung des Bürgermeisters von Srebrenica erfuhr, am jährlichen Friedensmarsch teilzunehmen, setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Ein wenig Angst habe er vor der erstmaligen Rückkehr schon gehabt: „Ich wusste ja nicht, ob Angehörige der Opfer aggressiv auf frühere Dutchbatter reagieren würden.“
Reiterpension beim Mahnmal
Doch die befürchteten Anfeindungen blieben aus. Srebrenica ließ den Niederländer seine damalige Lebensplanung schnell völlig über den Haufen werfen. Eigentlich hatte er ja die Auswanderung nach Südafrika geplant: „Aber als ich die Berge von Srebrenica wiedersah, empfand ich Ruhe und keinen Stress mehr. Ich wusste plötzlich, dies ist mein Platz.“
Seine Frau wickelt in den Niederlanden noch den Verkauf seines Unternehmens ab. Hoch in den Hängen über Potočari – jenem Ort, in dem ein Mahnmal an die 8372 ermordeten Bosnier erinnert– lässt der bereits im letzten Sommer nach Srebrenica umgezogene Familienvater derweil seine neue Zukunft zimmern, eine Reit-Pension, in dem nicht nur frühere Dutchbat-Veteranen, sondern auch ganz gewöhnliche Touristen ihren Seelenfrieden finden sollen: „Ich will die Leute die Schönheit dieser Landschaft erfahren lassen– und ihnen zeigen, dass Srebrenica nicht nur Krieg ist.“ Arbeitsplätze wolle er in seiner neuen Heimat schaffen – und endlich zur Ruhe kommen. In Srebrenica werde er wesentlich seltener von posttraumatischen Rückfällen geplagt: „Es ist besser, sich seiner Vergangenheit zu stellen, als vor ihr wegzulaufen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2010)