Coronavirus

Pandemie-Präventionsbehörde der EU warnt vor falschen Hoffnungen

Das ECDC hat seinen Sitz übrigens in der schwedischen Stadt Solna.
Das ECDC hat seinen Sitz übrigens in der schwedischen Stadt Solna.APA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND
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ECDC-Chefin Ammon warnt: In Großbritannien, Polen, Rumänien und Schweden steigen die Neuinfektionen unverändert, in Bulgarien sogar deutlich. Handy-Apps und Schutzmasken dürften nicht überbewertet werden.

Dass es eine EU-Einrichtung gibt, die sich mit der Bekämpfung von Krankheiten beschäftigt, das wissen viele EU-Bürger selbst in der größten Gesundheitskrise seit dem Zweiten Weltkrieg nicht. Dass das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in der Coronavirus-Krise lange zögerlich agierte, ist auch einer der Gründe, warum deren Chefin Andrea Ammon am Montag dem Europaparlament per Videoschaltung Rede und Antwort stand.

Das ECDC hat bei der beginnenden Lockerung von Maßnahmen gegen das Coronavirus davor gewarnt, falsche Erwartungen in der Bevölkerung zu wecken. "Das ist ein Marathon und kein Sprint", sagte ECDC-Leiterin Ammon.

Die Menschen müssten "sich mental darauf vorbereiten, dass das nicht so bald enden wird". Ein Ausstieg aus den Corona-Maßnahmen müsse "Schritt für Schritt" erfolgen und von einer "genauen Beobachtung" der Auswirkungen auf die Fallzahlen begleitet werden, sagte Ammon in einer Video-Konferenz des Gesundheitsausschuss des EU-Parlaments. Vorerst werde es deshalb "kein Zurück zur Normalität" geben.

"Wir dürfen in unserer Wachsamkeit nicht nachlassen", sagte die deutsche Ärztin. "Das Virus wird nicht verschwinden, solange es noch keinen Impfstoff gibt." Trotz beschleunigter Zulassungsprozesse könne dies nach einem Durchbruch in der Entwicklung wegen nötiger Tests noch dauern.

Höhepunkt noch nicht überschritten

In Großbritannien, Polen, Rumänien und Schweden steige die Zahl der Neuinfektionen seit zwei Wochen mit unveränderter Geschwindigkeit, sagte Ammon. In Bulgarien nehme die Pandemie sogar an Fahrt auf. Der Höhepunkt der Ausbreitung des Krankheitserregers sei noch nicht überschritten, sagte Ammon. Sie widersprach damit dem britischen Premierminister Boris Johnson. Dieser hatte am Donnerstag erklärt, sein Land habe den Höhepunkt überwunden.

In allen anderen europäischen Ländern würden dagegen weniger Neuerkrankungen gemeldet. "Es sieht so aus, als ob am Samstag der Höhepunkt der ersten Welle in Europa überschritten wurde", sagte Ammon. Das ECDC ist für alle 27 EU-Mitgliedsstaaten plus Großbritannien, Norwegen, Liechtenstein und Island zuständig.

In Großbritannien stieg die Zahl der Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, am Montag auf fast 190.000. Fast 28.500 Menschen starben. In Europas ist nur Italien noch stärker von der Pandemie betroffen.

Auch Daten der Beobachtungsstelle EuroMOMO lassen darauf schließen, dass Großbritannien besonders schwer betroffen ist: Seit Beginn der Pandemie sind in dem bevölkerungsreichsten Landesteil England mehr Menschen gestorben als im fünfjährigen Durchschnitt. Am 26. April war die Übersterblichkeit so hoch wie in keinem anderen europäischen Land. Zudem ist England das einzige untersuchte Land, in dem es nach vorläufigen Daten einen "substanziellen Anstieg" der Sterblichkeit bei den 15 bis 64-Jährigen gab. Nach Einschätzung von Epidemiologen ist die Übersterblichkeit ein guter Indikator dafür, das Ausmaß einer Epidemie zu messen.

Schutzmasken nicht überbewerten

Bei Infektionen sei auch weiter eine möglichst genaue Nachverfolgung der Kontaktpersonen der Betroffenen nötig, um die Eindämmung des Virus nicht zu gefährden, sagte Ammon. Handy-Apps könnten dazu einen Beitrag leisten. Sie seien aber "keine Wunderwaffe", sondern "nur ein Werkzeug", das die Ermittlung von Kontaktpersonen erleichtern könne.

Ammon warnte gleichzeitig davor, das Tragen einfacher Schutzmasken in der Öffentlichkeit überzubewerten. Sie könnten "ein falsches Gefühl der Sicherheit" geben, sagte sie. Sie schützten nicht den Träger, sondern bestenfalls andere. Zudem gebe es bisher nur wenige wissenschaftliche Belege, dass solche Masken zur Eindämmung der Ausbreitung der Krankheit beitragen könnten.

Masken könnten deshalb nur "als zusätzliches Werkzeug" im Kampf gegen Covid-19 gesehen werden, sagte Ammon. Empfehlungen zu sozialen Abstandsregeln und regelmäßigem Händewaschen sollten auch bei einer Lockerung von Maßnahmen deshalb weiterbefolgt werden.

Mehr Forschung forderte Ammon bei der Frage, ob Menschen mit Antikörpern tatsächlich immun seien. Dies sei noch immer nicht klar und müsse nun dringend geklärt werden, sagte sie. Ammon zufolge verzeichnen fast alle Länder in Europa inzwischen einen "deutlichen Rückgang" beim Anstieg der Infektionszahlen.

(APA/Reuters/AFP)

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