Die Krankenhausserie Grey's Anatomy hat 363 Folgen á 41 Minuten. Da muss das Virus schon einen sehr langen Atem haben, um das zu überstehen.
Während die ganze Welt nach einer Impfung gegen die Pandemie sucht, haben wir in der Familie schon eine gefunden: "Grey's Anatomy". Die Krankenhausserie hat 363 Folgen á 41 Minuten, da muss das Virus schon einen sehr langen Atem haben, um das zu überstehen. Bis auf den Jüngsten können es alle schauen, den Mittleren motiviert es, um für seinen Medizinaufnahmetest zu lernen (der freilich inzwischen verschoben worden ist), und den Ältesten, der bisher am wenigsten reingekippt ist, bestärkt es darin, sich nicht für Medizin entschieden zu haben. Die Spitalssoap ist anspruchslos genug, um einen zuverlässig aus der Realität zu beamen (angesichts der unendlich vielen Folgen muss man auch nicht damit haushalten oder sehnsüchtig auf das Release der nächsten Folge/Staffel warten wie bei vielen kostbareren Serien sonst), trotzdem sind es die Charaktere wert, Zeit mit ihnen im OP, der Notaufnahme und in diesen Krankenhausnachtdienstschlafkojen zu verbringen. Dazu kommt eine gewisse Patina, die Serie ist in ihren Anfängen schon 15 Jahre alt, andere Mode, veraltete Hardware und Piepser statt Smartphone sorgen für Abwechslung. Aber am allerwichtigsten (Achtung, Spoiler!): Die Protagonisten tragen alle mit großer Selbstverständlichkeit und Anmut Mund-Nasen-Schutz. Was übrigens bei diesen Masken in Operationssälen 2005 und Supermärkten 2020 gleich ist: Sie rauben einem die Luft, bringen dafür aber die Augen zur Geltung. Da man aber leider nicht den ganzen Tag fernsehen kann, haben sich noch folgende Corona-Begleiter etabliert: "Elfer heraus" als bevorzugtes Kartenspiel, Plunder vom Bäcker ums Eck am späteren Nachmittag und Kaulquappen im Glas als neue Haustiere (der Hund ist einverstanden). Was sagst du jetzt, Corona?
("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 30.04.2020)