USA: Misere auf dem Arbeitsmarkt

Misere Arbeitsmarkt
Misere Arbeitsmarkt(c) AP (CharlesDharapak)
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Nach schweren Geburtswehen hat die Finanzreform im Senat endlich die letzte Hürde in ihrem Hindernislauf genommen. Doch hohe Arbeitslosenrate und schleppender Aufschwung machen Obama zu schaffen.

Washington. Die längst erwartete Vollzugsmeldung aus dem Kongress erreichte Barack Obama auf dem Weg nach Michigan, dem Herzen der US-Autoindustrie – einer Region, die mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als zwölf Prozent geschlagen ist. Nach schweren Geburtswehen hat die Finanzreform am Donnerstag im Senat endlich die letzte Hürde in ihrem Hindernislauf genommen.

Unlängst hatte John Boehner, ein Führer der Republikaner im Kongress, zwar noch gedonnert: „Das ist so, als würde man mit einer Atombombe auf Ameisen zielen.“ Doch selbst Henry Paulson, der Finanzminister George W. Bushs und Ex-Chef von Goldman Sachs, konzedierte: „Das hätte ich mir schon gewünscht, als wir Lehman Brothers abgewickelt haben.“

Der Präsident hatte die Erfolgsmeldung bitter nötig. Ob die Reform das Vertrauen der Amerikaner in ihn heben wird, steht auf einem anderen Blatt. Laut einer Umfrage der „Washington Post“ missbilligen 54 Prozent die Wirtschaftspolitik der Regierung. Die Wirtschaftskammer wirft dem Präsidenten vor, mit immer neuen Regulierungen ein Klima der Ungewissheit zu schüren, das neue Investitionen drosselt. Die Obama-Regierung macht wiederum die Wirtschaft verantwortlich, trotz teils üppiger Gewinne keine neuen Arbeitnehmer anzuheuern.

Überall Baustellen

Im Weißen Haus suchte Obama in dieser Woche nebst anderen den Rat von Wirtschaftsguru Warren Buffett und Ex-Präsident Bill Clinton. Sie sollen die Amerikaner überzeugen, dass sich die Wirtschaft auf dem Weg der Besserung befindet. Wie in Michigan trommeln Obama und sein Wirtschaftsteam, dass das staatliche Konjunkturprogramm von 787 Mrd. Dollar bis zu 3,5 Millionen Jobs gerettet beziehungsweise geschaffen habe. Auf den Baustellen künden grüne Tafeln – die pro Stück angeblich bis zu 2000 Dollar kosten – überall im Land von den Infrastrukturmaßnahmen der Regierung. Solange die Arbeitslosigkeit indes nicht signifikant sinkt, bleibt alles Makulatur.

Die Indikatoren deuten auf einen schleppenden Aufschwung. Im zweiten Quartal hat der Handel Einbußen erlitten, die Autoverkäufe brachen um 2,3 Prozent ein. Die Wirtschaft ist lediglich um zwei Prozent gewachsen. Soeben hat die Notenbank ihre Prognose für dieses Jahr geringfügig zurückgeschraubt. Sie geht von einem Wirtschaftswachstum von drei bis 3,5 Prozent und von einer Arbeitslosenrate von 9,2 bis 9,5 Prozent aus. Bis 2012 werde die Arbeitslosigkeit auf 7,5 Prozent zurückgehen – ein für US-Verhältnisse immer noch relativ hoher Wert.

Allerdings sehen einige Mitglieder der Notenbank (Fed) die Gefahr einer Deflation heraufziehen. Sollte die Konjunktur nicht dauerhaft anspringen, erwägt die Fed, Maßnahmen zu ihrer Ankurbelung zu ergreifen – etwa Staatsanleihen aufnehmen. Auf absehbare Zeit bleiben die Zinsen weiter bei annähernd null.

Silberstreif an der Wall Street

Die Krise auf dem Arbeitsmarkt ist das gravierendste Problem der Regierung. In der kommenden Woche will der Kongress die Nothilfe für Langzeitarbeitslose, die seit beinahe zwei Jahren einen Job suchen, verlängern. Mehr als 2,5 Millionen Amerikaner sind davon betroffen. 225.000 Amerikaner verlieren jetzt zudem ihren Kurzzeitjob. In der jüngsten Arbeitslosenstatistik Ende Juni wurden Arbeitslose, die die Jobsuche aufgegeben haben, nicht mehr registriert – die Dunkelziffer liegt also höher als die offiziell ausgewiesenen 9,5 Prozent.

Ein Silberstreifen am Horizont zeichnet sich unterdessen ab. An der Wall Street haben die Firmen begonnen, wieder neue Arbeitskräfte einzustellen. Seit Februar haben sie beinahe 2000 neue Jobs geschaffen. Für viele Ökonomen gilt dies als Stimmungsbarometer für eine Erholung der Wirtschaft: Geht die Wall Street voran, zieht die Main Street nach. Obamas Hoffnung liegt just in der Branche, die die Misere verursacht hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2010)

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