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80-jährige Helga Schubert gewinnt Bachmann-Preis

Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert
Bachmann-Preisträgerin Helga SchubertORF
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Autorin war bereits 1980 eingeladen, konnte aber nicht aus der DDR einreisen. Von 1987 bis 1990 war sie Mitglied der Jury. Die 80-jährige will nun einen Roman abschließen und veröffentlichen.

Die 80-jährige deutsche Autorin Helga Schubert ist  Sonntag Vormittag bei der virtuell gehaltenen Preisverleihung mit dem 44. Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet worden. Schubert setzte sich mit ihrem Text "Vom Aufstehen" im dritten Wahlgang in der Stichwahl gegen die junge deutsche Autorin Lisa Krusche durch. Krusche wurde mit dem mit 12.500 Euro dotierten Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet. Der Kelag-Preis (10.000 Euro) ging nach langem Stechen an den Österreicher Egon Christian Leitner, Laura Freudenhalter bekam schließlich den 3sat-Preis (7.500 Euro).

Die Österreicherin Lydia Haider gewann den per Internet-Voting ermittelten BKS-Bank-Publikumspreis in der Höhe von 7.000 Euro und das damit verbundene und mit 5.000 Euro dotierte Klagenfurter Stadtschreiberstipendium.

Neun Autorinnen und fünf Autoren stellten sich beim coronabedingt hauptsächlich digital durchgeführten Literaturwettbewerb einer siebenköpfigen Jury unter dem Vorsitz von Hubert Winkels, die dezentral per Liveschaltung aus Berlin, Zürich, Wien, Graz und Bamberg zugeschaltet war. Im Vorjahr war der mit 25.000 Euro dotierte Bachmann-Preis an Birgit Birnbacher gegangen.

Für Schubert schließt sich ein Kreis

Ihren Text hat Helga Schubert im Geheimen Ingeborg Bachmanns "Das dreißigste Jahr" gewidmet, wollte sich mit dem ursprünglichen Titel "Das 80. Jahr" aber nicht "an die Jury ranschmeißen", wie sie in einem kurzen Statement bei der virtuellen Preisverleihung der 44. Tage der deutschsprachigen Literatur sagte. Mit dem nunmehr "Vom Aufstehen" betitelten Text überzeugte sie schließlich die Jury.

Damit schließt sich ein Kreis. Denn im Jahr 1980 war Schubert bereits einmal für den Bachmann-Preis nominiert, konnte damals aber nicht aus der DDR ausreisen. Von 1987 bis 1990 saß sie in der Jury der Tage der deutschsprachigen Literatur, nunmehr ist sie Trägerin des Bachmann-Preises, zu dem sie von Insa Wilke eingeladen wurde.

Kein autobiografischer Text

Kurz nach der virtuellen Verleihung des Bachmann-Preises zeigte sich die 80-jährige deutsche Preisträgerin Helga Schubert "überglücklich und dankbar". Auch ihr selbst sei nach ihrer Lesung langsam bewusst geworden, dass sie wohl zu den Favoriten für den Hauptpreis zählte. Was sie allerdings "gewundert" hat, war die Zuschreibung des Autobiografischen. "Das ist eigentlich kein autobiografischer Text. Es ist ja alles Material", verweist sie etwa auf ihre Kollegin Friederike Mayröcker, die ebenfalls aus dem Material ihres Lebens schöpfe und "das, was sie in der Seele hat, kondensiert." So sei es auch bei ihr. Sie sehe sich auf jeden Fall als Schriftstellerin.

Dass sie gewinnen könnte, habe sie irgendwie gespürt. "Ja, ich hatte die Hoffnung. Sonst hätte ich nicht heute in der Früh noch einmal diesen Bachmann-Satz herausgeschrieben, den ich dann vorgelesen habe", schmunzelt die Autorin. Ihr Bachmann-Text ist übrigens ein Kondensat aus einem Erzählband, an dem sie gerade arbeitet. "So, wie dieser Text jetzt ist, wird er nicht im fertigen Buch stehen", so die Autorin, die nach ihrer Lesung bereits von einer Agentur und einem "großen, seriösen deutschen Verlag" kontaktiert wurde.

Dass sie durch die Teilnahme am Bewerb jetzt wieder in den Literaturbetrieb einsteigt, ist für sie etwas ganz Besonderes. Sie habe sich in den vergangenen Jahren "total zurückgezogen, auch die Rechte an den früheren Büchern zurückverlangt. Ich habe mich sehr selbstdestruktiv verhalten, was Veröffentlichungen betrifft." Stattdessen hat sie in der Galerie, die sie in ihrem Heimatort betreibt, regelmäßig Lesungen gehalten. Immer wieder sei sie gefragt worden, ob sie diese auch veröffentlichen werde.

Ob sich ihr Leben anders entwickelt hätte, wenn sie 1980 aus der DRR ausreisen hätte dürfen, um in Klagenfurt zu lesen? Davon ist Schubert überzeugt. "Das hätte mich unheimlich ermutigt, aber es wurde nicht genehmigt. Ich habe in einer Diktatur gelebt." Es sei ein "reines Glück" gewesen, dass die DDR bald darauf "zu Ende gegangen ist. Ich war eine typische Schriftstellerin, die in der Diktatur versucht hat, weiterzuschreiben." Umso dankbarer sei sie nun für den Bachmannpreis. "Weil ich jetzt wieder in der Literatur bin."

Biografie

Geboren wurde Schubert 1940 in Berlin-Kreuzberg, seit einigen Jahren lebt sie mit ihrem Mann in Neu Meteln (Mecklenburg). Es ist für sie der zweite Anlauf zum Bewerb: 1980 scheiterte die Ausreise aus der DDR. Nach ihrer Matura 1957 war sie ein Jahr Montiererin am Band, von 1958 bis 1963 Studierte sie klinische Psychologie an der Humboldt-Uni Berlin. Während des Studiums heiratete sie den Maler und Grafiker Rolf Schubert, 1960 kam ihr Sohn zur Welt.

Beruflich folgte eine postgradulae Ausbildung zur Fachpsychologin der Medizin, von 1963 bis 1987 arbeitete sie in der Erwachsenen-Psychotherapie im Stadtbezirk Berlin-Mitte, u.a. in der Universitäts-Nervenklinik der Charité. 1977 nahm sie ihre Arbeit als freiberufliche Schriftstellerin auf, nachdem sie bereits seit dem 20. Lebensjahr immer geschrieben hatte. Von 1976 bis 1989 stand sie unter Beobachtung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst: "feindlich-negativ". Am Ende der DDR war sie Pressesprecherin des Zentralen Runden Tischs zur Vorbereitung der ersten freien Wahl 1990. Von 1987 bis 1990 war sie nach ihrer verhinderten Teilnahme Jurymitglied im Bachmann-Wettbewerb.

Schubert hatte Lehraufträge an US-amerikanischen Unis und war langjähriges Mitglied des Goethe-Instituts und des Autorenkreises der Bundesrepublik. Seit 1976 ist sie mit dem Psychologen, Maler und Schriftsteller Johannes Helm verheiratet.

Zu ihren Büchern zählen u.a. die vier Kinderbücher über "Bimmi", "Das verbotene Zimmer" (1982, Luchterhand), der Erzählband "Blickwinkel" (1985), "Anna kann Deutsch" (1986) ", "Die Andersdenkende" (1994) und "Das gesprungene Herz" 1995. 2003 erschien ihr Roman "Die Welt da drinnen" (S. Fischer-Taschenbuch). 2017 gab sie die 16-bändige Werkausgabe der Gemälde von Johannes Helm heraus. Zu ihren Auszeichnungen zählt u.a. 1986 der Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste und der Fallada-Preis 1993.

(APA)

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