Griechenland: Streik am Rande des Abgrunds

Griechenland Streik Rande Abgrunds
Griechenland Streik Rande Abgrunds(c) EPA (SIMELA PANTZARTZI)
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Tausende Urlauber sitzen fest, Obst und Gemüse werden knapp, weil die Transportunternehmer um ihre protektionistischen Privilegien kämpfen. Der Todesstoß für die gebeutelte Tourismusbranche?

Athen. Ist die Wirtschaft des Landes oder die öffentliche Gesundheit in Gefahr, dann darf die griechische Regierung die Streikenden zum Dienst zwingen. Und dass der letzte Hoffnungsschimmer für die marode griechische Wirtschaft in akuter Gefahr ist, daran zweifelt wohl niemand: Tausende Touristen sitzen fest, weil es an den Zapfsäulen keinen Sprit mehr gibt.

Mitten in der Haupturlaubszeit versetzt ein Streik der Transportunternehmer der Tourismusbranche einen empfindlichen Schlag, wenn nicht den Todesstoß. Auf Kreta haben Urlauber ihre Mietwagen am Straßenrand mit leeren Tanks stehen gelassen, mehr als 200 hat die Polizei bereits eingesammelt. „Meine Gäste können nicht einmal zum nächsten Bankomaten fahren, und die Taxis haben auch keinen Sprit mehr“, sagt Hotelier Nikos Mandis. Verzweifelt versuchen Hotelbesitzer und Wirte, ihre Gäste bei Laune zu halten, lassen anschreiben und organisieren Gruppenfahrten für jene, die zum Flughafen müssen. Der Flug- und Schiffsverkehr ist mit Ausnahme der Fähren zu einigen Inseln wie Kefalonia und Zakynthos nicht betroffen. Dafür werden in den Geschäften Obst und Gemüse knapp.

„Sowjetische Züge“

Dass die angeschlagene Tourismusbranche genau jetzt auf die sich abzeichnende Erholung gehofft hat, scheint die Fuhrunternehmer nicht zu interessieren. Sie beharren auf einem Protektionismus, dessen Ende seit Jahren angekündigt, aber von keiner Regierung durchgesetzt worden ist. Die Spediteure gehören zu den „geschlossenen Berufsgruppen“. Ihre Lizenzen sind Anfang der 70er-Jahre gegen eine geringe Gebühr vergeben worden – danach hat der Staat keine mehr erteilt. Damit war sichergestellt, dass die „geschlossene“ Zahl der 33.000 Lizenzen weiterverkauft werden konnte, und das zu stetig steigenden Preisen. Die Tanklastwagenbesitzer, die jetzt streiken, haben für ihre Genehmigungen bis zu 300.000 Euro bezahlt. Erteilt der Staat nun neue, so gut wie kostenfreie Lizenzen, verlieren die bisherigen ihren „Wert“. Das trifft vor allem die Älteren hart: Sie haben damit gerechnet, durch den Verkauf der Lizenz ihre karge Rente von rund 590 Euro aufzubessern.

Ministerpräsident Georgios Papandreou bezeichnete die Liberalisierung als Priorität. Auch Wirtschaftswissenschaftler messen der Maßnahme entscheidende Bedeutung zu: Ioannis Stournaras etwa sieht „sowjetische Züge“ im Protektionismus der griechischen Wirtschaft, dessen Aufhebung gerade im Transportwesen zu erheblichen Preissenkungen führen werde. So ist eine Fuhre von Athen nach Thessaloniki per Lkw momentan teurer als die Verschiffung eines Containers von Fernost nach Piräus.

Justizsystem könnte kollabieren

Mit der „zivilen Mobilmachung“ hat die Regierung den Ernst der Lage betont und einen Warnschuss an die übrigen „geschlossenen“ Berufsgruppen wie Taxifahrer, Anwälte oder Architekten abgeben wollen, denn die Strafen sind harsch.

Folgt ein Lkw-Besitzer dem auf seinen Namen persönlich ausgestellten „Marschbefehl“ nicht, kann er sofort festgenommen und einem Schnellgericht überstellt, sein Fahrzeug beschlagnahmt werden. Doch bisher scheint selbst diese Maßnahme nicht zu greifen. Widersetzen sich die Spediteure geschlossen, könnten sie die Regierung regelrecht vorführen: 30.000 Inhaftierte und ebenso viele Gerichtsverfahren würden den Staatsapparat völlig überlasten. Ein solcher Gesichtsverlust wäre für die Regierung Papandreou kaum wiedergutzumachen. Die Frächter schalten auf stur: Am Freitag kündigten sie an, sich der Anordnung der Regierung zu widersetzen und ihren Streik fortzuführen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2010)

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