Analyse

Afghanistans Warlords kehren zurück

Das Comeback des Kriegsherrn. Warlord Abdul Rashid Dostum wurde von Afghanistans Präsidenten, Ashraf Ghani, rehabilitiert und zum Marschall ernannt.
Das Comeback des Kriegsherrn. Warlord Abdul Rashid Dostum wurde von Afghanistans Präsidenten, Ashraf Ghani, rehabilitiert und zum Marschall ernannt.Rahmat Gul /AP/picturedesk.com
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Abdul Rashid Dostum zählt zu den brutalsten Kriegsherren, die am Hindukusch seit vielen Jahren ihr Unwesen treiben. Jetzt wurde er befördert – ein Symbol für die Misere, in der Afghanistan steckt.

Seine Miliz wird für einige der schlimmsten Kriegsverbrechen in Afghanistan verantwortlich gemacht. Und er selbst gilt als der berüchtigteste Warlord des Landes. Trotzdem ist Abdul Rashid Dostum der nur dritte Mann in der Geschichte Afghanistans, dem eine besondere Ehre zuteilgeworden ist: Er wurde während einer feierlichen Zeremonie zum Marschall ernannt. Dostums Beförderung war Teil des Deals, den Afghanistans Präsident, Ashraf Ghani, mit Abdullah Abdullah abschloss – seinem Hauptrivalen, mit dem er sich nach den Präsidentschaftswahlen 2019 zerstritten hatte. Damit hat Ghani abermals die Kräfte gestärkt, die er einst bekämpfen wollte.

Afghanistans Streitkräfte und viele der Taliban haben sich zuletzt weitgehend an eine vereinbarte Waffenruhe gehalten. Die Terrororganisation des sogenannten Islamischen Staats (IS) versucht, das mit brutalen Aktionen zu hintertreiben. Die Rückkehr des Warlords Dostum in dieser schwierigen Phase ist ein weiteres Synonym für die Probleme, in denen das Land steckt.

Flucht in die Türkei

Ähnlich wie andere Kriegsfürsten treibt Dostum seit Jahrzehnten sein Unwesen. Bis vor geraumer Zeit war er noch flüchtig, nachdem ihm vorgeworfen worden war, einen politischen Rivalen gefoltert und vergewaltigt zu haben. Besonders prekär: Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2017, war Dostum offiziell Vizepräsident Afghanistans und somit Ghanis Stellvertreter. Als die Vorwürfe lauter wurden und Kabul sich auch dem internationalen Druck stellen musste, setzte sich Dostum in die Türkei ab. Der ethnische Usbeke pflegt gute Kontakte zum türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan. Bereits 2008 spielte sich nach ähnlichen Vorwürfen fast das gleiche Szenario ab.

Während Dostums Anhängerschaft seine Beförderung feiert, betrachten sie viele Beobachter als skandalöse Farce, exemplarisch für das Scheitern des westlichen Einsatzes in Afghanistan. Seit Ende 2001 werden nämlich die Warlords, die in den 1990er-Jahren einen blutigen Bürgerkrieg geführt haben und letztlich auch der Grund für die Formierung der extremistischen Taliban gewesen sind, seitens der USA und ihrer Verbündeten gezielt unterstützt. Bis heute wird der Westen für diesen „Systemfehler“ kritisiert. „Wie kann man einer Regierung Glauben schenken, die Kriegsverbrechen ignoriert oder, noch schlimmer, Kriegsverbrecher in höchste Regierungsposten befördert?“, meint etwa Erik Edstrom, ein ehemaliger US-Soldat und Autor, der vor Kurzem ein Buch über seine Stationierung in Afghanistan veröffentlicht hat. Der US-Regierung wirft er bezüglich Dostums Beförderung „Heuchelei und Zynismus“ vor.

Massaker in der Wüste

Als die USA gemeinsam mit ihren Nato-Partnern nach 9/11 in Afghanistan einmarschierten, verbündeten sie sich im Kampf gegen die Taliban mit jedem Warlord und Milizionär, der ihnen entgegenkam. Dostum befand sich damals in der ersten Reihe. Bereits in den ersten Monaten nach dem US-Einmarsch wurde seine Junbish-Miliz für eines der blutigsten Massaker in der jüngeren Geschichte Afghanistans verantwortlich gemacht. Damals, im November 2001, hatten Dostum und seine Kämpfer eine größere Gruppe von Taliban gefangen genommen und in Container gesperrt. Die Container wurden in die Wüste Dasht-e Laili gefahren, wo man sie einige Tage stehen ließ. Von außen schossen die Junbish-Milizen immer wieder Löcher in die Container, während die Gefangenen schlimmste Qualen durchmachten und in der Hitze verdursteten.
Brutale Anti-Taliban-Operationen

Als die Container einige Tage später geöffnet wurden, entwich, so beschrieben es später Augenzeugen, ein bestialischer Gestank, eine Mischung aus Blut, Verwesung, Urin und Kot. Von den etwa 220 Männern pro Container überlebten nur wenige Personen die Tortur. Sie wurden danach hingerichtet. Ihre Leichen verscharrte man in Massengräbern. Dostum selbst beteiligte sich an allen Verbrechen persönlich. Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, bekannt für seine zahlreichen Bestseller über die Region, bezeichnete das Massaker von Dasht-e Laili als das brutalste Menschenrechtsverbrechen des Afghanistan-Krieges.
Im folgenden Jahr wurde Dostum für die Verbrechen entlohnt, indem ihn die neue, von Washington installierte Regierung Hamid Karzais zum General beförderte. Auch in den Jahren darauf begingen Dostums Milizen Verbrechen: 2016 berichtete Human Rights Watch von paschtunischen Dörfern im Norden Afghanistans, die von Dostums Kämpfern bei „Anti-Taliban-Operationen“ terrorisiert wurden. Zeugen zufolge wurden dabei Zivilisten getötet und gefoltert.

„Dass Dostum nun den Titel eines Marschalls erhalten hat, obwohl Ghani zuvor aufgrund der bestehenden Vorwürfe von einer juristischen Strafverfolgung sprach, macht abermals das komplette Versagen der afghanischen Regierung deutlich. Dostum ist Teil eines schäbigen Gesamtbilds, was die Straffreiheit in Afghanistan betrifft“, sagt Patricia Gossmann, Asien-Direktorin von Human Rights Watch. Sie unterstreicht die Tatsache, dass mächtige Männer trotz krimineller Vergehen bis jetzt noch nie zur Rechenschaft gezogen wurden. „Diese Fälle machen deutlich, warum der Internationale Strafgerichtshof sich den Untersuchungen in Afghanistan widmen muss“, so Gossmann.
Dostum gilt als Paradebeispiel des afghanischen Warlords. Ende der 1980er Jahre scharte er treue Männer seiner Ethnie um sich. Sie bildeten die ersten Strukturen seiner berüchtigten Junbish-Miliz, die bis heute existiert und auch einen politischen Arm hat. Unter Mohammed Najibullah, dem letzten kommunistischen Präsidenten Afghanistans, machte sich Dostum einen Namen als Mudjaheddin-Jäger. Regelmäßig schwirrte er mit seinen Milizen aus. Zivilisten wurden dabei zur Zielscheibe.

Auf dem Schlachtfeld war Dostum ein Egoist. Sein persönlicher Vorteil hatte stets oberste Priorität. Daher wechselte er regelmäßig die Allianzen. Es gibt so gut wie keine Fraktion, der Dostum nicht kurzzeitig angehörte. Eine Zeit lang hielt er sogar im Norden des Landes seinen eigenen Pseudostaat inklusive eigener Währung.

Kriegsverbrecher mit „echter Macht“

Dass Dostum nun allein in der Kritik steht, findet nicht nur Zustimmung. „Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass Dostum Kriegsverbrechen begangen hat. Unter den Warlords, die in den 1990er-Jahren aktiv waren, wird er immer als besonders schlimm betrachtet. Ich denke, er war wegen seiner Verbindungen zur einstigen kommunistischen Regierung nur schneller und leichter im Fokus“, sagt Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network. Laut Ruttig trifft andere Warlords und Kriegsverbrecher deutlich weniger bis gar keine Kritik, obwohl sie noch „echte Macht“ haben.

Auch dafür gibt es ein aktuelles Beispiel. Kurz nach der Beförderung Dostums wurde Assadullah Khaled von Präsident Ghani abermals als Verteidigungsminister bestätigt. Khaled hat in der Vergangenheit in seiner Funktion als Gouverneur und Geheimdienstchef zahlreiche Verbrechen begangenen, darunter Entführungen, Mord und Folter. Doch im Gegensatz zu Dostum ist er nur selten in den Schlagzeilen.

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