Gastkommentar

75 Jahre Atombomben: Die Geopolitik der Atombomben

"So einen mächtigen Feind wie China hatte noch kein Präsident".
"So einen mächtigen Feind wie China hatte noch kein Präsident".Peter Kufner
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Am 6. und 9. August 1945 warfen die USA zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Offiziell, um den Zweiten Weltkrieg in Asien zu beenden. Historische Forschung stellt diese Darstellung immer mehr infrage.

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Im Juli 1945 testeten die USA im Bundesstaat New Mexico die erste Atombombe. Am 6. und am 9. August folgten die Abwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Der Zweite Weltkrieg wurde damit in Asien beendet. Die Kapitulation Japans folgte am 14. August.

Die USA hatten somit eine geplante Invasion der japanischen Hauptinseln, die für den 1. November 1945 unter dem Codenamen „Operation Downfall“ geplant war, vermieden. Das Unternehmen hätte nach Annahmen der US-Army zwischen 25.000 und einer Viertelmillion amerikanischer Soldaten das Leben gekostet. Und nach Schätzungen wären bis zu 300.000 weitere Tote auf amerikanischer Seite zu erwarten gewesen. Dennoch ist der militärische Wert der Atombombenabwürfe zur Beendigung des Weltkrieges in Asien bis heute umstritten.

Vieles deutet darauf hin, dass Japan kapitulierte, weil die Sowjetunion den mit Japan 1941 geschlossenen Neutralitätspakt aufkündigte und am 8. August 1945 – zwischen den beiden Abwürfen am 6. und am 9. August – in den Krieg gegen Japan eintrat. Truman hatte angenommen, dass die Sowjetunion Mitte August einmarschieren würde. In sein Tagebuch schrieb er am 17. Juli: Stalin und die Sowjetunion „werden am 17. August im Jap-Krieg sein. Das ist das Ende der Japs, wenn das passiert.“ Truman hatte angenommen, dass der Krieg lang vor einer US-Invasion beendet werden könnte. Es ist nicht eindeutig, ob er dabei nur an die sowjetische Invasion oder auch schon an die Atombombe dachte. Am 24. Juli wurde dem Luftwaffengeneral Spaatz der Befehl gegeben, den Abwurf der Bombe für „bald nach dem 3. August“ vorzubereiten. Truman nahm die Entscheidung auf sich.

So begann Konflikt mit Sowjets

Die Atombomben waren damit auch der Beginn des Konfliktes der USA mit der Sowjetunion. Auf Anregung des japanischen Kaisers im Mai 1945 hatte Stalin vorgeschlagen, dass Japan von den USA und der Sowjetunion gemeinsam verwaltet werden sollte. Die Atombombenabwürfe verhinderten die Umsetzung des Plans. Die USA hatten Befürchtungen, dass die Sowjetunion Gebietsansprüche geltend machen könnte. Das hätte zu einer Teilung wie in Deutschland und dann Korea führen können. Man darf nicht vergessen, dass sich die USA und die Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt an der Schwelle zum Kalten Krieg befanden. Die Entscheidung über den Abwurf war offenbar schon Mitte Juli gefallen, sodass die Ereignisse Anfang August darauf keinen Einfluss mehr hatten.

Am 26. Juli 1945 forderte Truman Japan zur sofortigen und bedingungslosen Kapitulation auf, was die Sowjetunion überraschte, bereitete sie doch gerade erst den Kriegseintritt für den 8. August vor, den sie noch US-Präsident Roosevelt auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 zugesagt hatte. Stalin wollte aber auf seinen territorialen Anteil Japans nicht ganz verzichten. Er verlangte am 16. August von Truman die Übergabe der Kurilen-Inseln und den nördlichen Teil der Insel Hokkaido an die sowjetischen Truppen. Truman antwortete, dass alle zu Japan gehörenden Inseln General MacArthur zu übergeben seien. Die Kurilen-Inseln hingegen könnten dem Kommando der sowjetischen Streitkräfte unterstellt werden.

Beginn des Kalten Krieges . . .

Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki durch Roosevelts Nachfolger Truman wurden von Stalin als Machtdemonstration und Erpressungsversuch gewertet, erfolgten sie doch noch, bevor sie den vereinbarten Krieg gegen Japan überhaupt aufnehmen hatten können. Die Abwürfe der Atombomben auf japanische Städte dienten nicht nur der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Asien, sondern markierten auch den Beginn des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion. Sie sollten nicht nur auf das Kaiserreich, sondern auch auf die Sowjetunion einen einschüchternden Effekt haben. Die Sowjetunion betrachtete die Abwürfe in der Tat auch als gegen sich gerichtete Aktion und begann selbst an der Entwicklung nuklearer Waffen zu arbeiten. Bereits vier Jahre später, im August 1949, führte sie ihren ersten erfolgreichen Atomtest durch. Die atomare Aufholjagd der Russen brachte die Amerikaner schließlich dazu, eine Wasserstoffbombe (Fusionsbombe) zu entwickeln, die eine vielfach höhere Sprengkraft aufweisen kann als Bomben, die auf dem Prinzip der Kernspaltung beruhen. 1952 zündeten die USA die erste derartige Bombe (Operation Ivy) mit einer Sprengkraft von mehreren Hundert Hiroshima-Bomben.

Der Autor:

Univ. Prof. Dr. Heinz Gärtner ist Lektor an den Universitäten Wien und Krems sowie Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) sowie des Beirates Strategie und Sicherheitspolitik der Wissenschaftskommission des Österreichischen Bundesheeres. Bis Ende 2016 war er wissenschaftlicher Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik und ist u. a. Autor, zuletzt des Buches „Der Kalte Krieg“ (marixwissen, 2017).

Heinz Gärtner.
Heinz Gärtner.Privat

Stalin dürfte die politische Bedeutung der Nuklearbombe nicht hoch eingeschätzt haben. Er betrachtete sie eher als „etwas, womit man Leute mit schwachen Nerven in Schrecken versetzen kann“. Dennoch zog die Sowjetunion bereits ein Jahr nach Operation Ivy durch einen Test einer eigenen Wasserstoffbombe (RMS-6) mit den USA gleich.

Präsident Eisenhowers Initiative „Atoms for Peace“ von 1953, mit der er in einer Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen die friedliche Nutzung der Atomenergie hervorhob und die Gründung einer internationalen Atomenergiebehörde vorschlug, stand im Widerspruch zu seinem Bestreben, die USA militärisch unverwundbar zu machen. Ganz ähnlich verhielt es sich mit Eisenhowers Auffassung, dass die USA nicht jedes Mal auf Chruschtschows provokative Aktionen überreagieren sollten. Dennoch baute er gleichzeitig die Abschreckungskapazität der USA wesentlich aus und entdeckte 1954 eine „Bomberlücke“, die es, wie sich später herausstellte, nie gab.

Strategische Widersprüche

Der bipolaren Struktur des Kalten Kriegs entsprach im militärischen Bereich die Abschreckungspolitik der beiden Weltmächte. Sie beruhte auf dem Prinzip der Gegendrohung. Die andere Seite sollte davon abgehalten werden, der eigenen Existenz einen als unannehmbar erachteten Schaden zuzufügen, indem man ihr ebenfalls einen derartigen Schaden androhte. Man ging davon aus, dass dieses Abschreckungssystem den Frieden erhalten würde. Die Kausalität zwischen nuklearer Abschreckung und der Erhaltung des Friedens bleibt eine Annahme, da man empirisch nicht beweisen kann, warum sich Kriege nicht ereignet haben.

Der Status quo war in Europa ohnehin festgeschrieben. Man nannte die Strategie der „gegenseitigen vollständigen Vernichtung“ auch „Mutual Assured Destruction“ (MAD) oder„Gleichgewicht des Schreckens“. Sie sollte den Feind überzeugen, bestimmte Aktionen in seinem eigenen Interesse zu vermeiden. Da das Konzept die Vernichtung des Feindes durch einen einzigen Angriff impliziert, führte die Abschreckungsstrategie während des Ost-West-Konfliktes zu einem nuklearen Aufrüstungsprozess, dessen Umfang letztlich eine 40-fache Zerstörung der Welt ermöglicht hätte. Um diese zu vermeiden, wäre eine vollständige nukleare Abrüstung notwendig.

E-Mails: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2020)

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