Quergeschrieben

Als Österreich vor fünf Jahren vom Weltgeschehen eingeholt wurde

Fluechtlinge
FluechtlingeClemens Fabry
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Über den Sommer 2015 und die Flüchtlingskrise gibt es unterschiedliche Erzählungen. Was sie gemeinsam haben, sind die vielen offenen Fragen.

Das Ausmisten war der Anfang. Schon seit Juli sei das Erstaufnahmelager Traiskirchen heillos überfüllt, hatten wir gehört; 4500 statt 1800 Menschen würden dort leben, nein: hausen – teilweise in Zelten im Garten. Wir durchwühlten Kleider- und Vorratsschränke, fuhren mit Autoladungen voll praktischer Dinge aus Wien nach Niederösterreich, um sie dort zu verteilen. Andere brachten stapelweise Übungsblätter und organisierten Deutschkurse im Park.

Vor fünf Jahren wurde das kleine Österreich Schritt für Schritt vom großen Weltgeschehen eingeholt. Der Krieg in Syrien, die Unruhen in Afghanistan, die Unterdrückung von Minderheiten im Iran, die instabile Lage in nordafrikanischen Staaten, die fehlenden Ressourcen in Griechenland, ja auch die Klimakrise, all das schien lang weit weg. Und dann auf einmal nicht mehr. Auf das niederösterreichische Traiskirchen folgte der Wiener Westbahnhof, und schon war die große Welt im ganzen Land. Und mit ihr sehr viele Menschen, die niemand kannte und niemanden kannten.

Über die Geschehnisse vom Sommer und Herbst 2015 gibt es verschiedene Erzählungen. Für die einen war es ein Versagen der Souveränität, ein Kontrollverlust der Regierung, als Anfang September die Grenzen geöffnet wurden, Menschen zu Fuß über Nickelsdorf und Spielfeld nach Österreich kamen. Als es nicht nur staatliche Institutionen, sondern vielfach engagierte Freiwillige waren, die sich um die Angekommenen kümmerten. Als jedem Menschen Hilfe angeboten wurde, auch wenn zunächst unklar blieb, was dessen Geschichte war.
Für die anderen war es ein Moment der Völkerverständigung und der grenzübergreifenden Solidarität, auf den sie lang gewartet hatten. Menschen von fern waren nun nah, und man konnte herausfinden, was man gemeinsam hatte. Endlich konnte man helfen, den eigenen Wohlstand, die Privilegien der sicheren Geburt teilen, die Freizeit sinnvoll verbringen, neue Freundschaften knüpfen.

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