Kunst

Zum 80er vom Attersee, so gottgleich und orgasmisch

(c) Belvedere Wien / Johannes Stoll
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Jubiläum. Christian Ludwig Attersee, der bildmächtigste Pop-Art-Künstler, den wir hatten, feiert heute, Freitag, seinen 80. Geburtstag. Gratulation einer Nachgeborenen, die manchmal auch mit der Opulenz seiner Malerei zu kämpfen hat.

Es gibt viele Gründe, als Kunstkritikerin davon zu träumen, einmal ins Wien der 60er-Jahre gebeamt zu werden (und wieder zurück): der Wiener Aktionismus, Valie Export und Peter Weibel als Paar, die Galerie Griechenbeisl, das Café Hawelka etc. Der schönste Grund aber ist der junge Christian Ludwig Attersee, dieser dreifache Segelstaatsmeister, der so elegant durch diese deftige Wiener Kunstszene stolzierte, als ironische Gesamtinszenierung des schönsten Mannes der Stadt. Er wälzte sich nicht in Blut und Gekröse, er räkelte sich im knappen Spiegeleierhöschen als Pin-up in einer aufblasbaren Grünoase, die eigentlich seinen Buckel darstellen sollte – den er zuvor auch noch mit Krepprosen gespickt hatte. So camp war Wien damals schon!

Man stellt sich das oft heimlich vor, wenn man als Spätgeborene diesen Promi-Maler, dieses lebende Sinnbild künstlerischer Arriviertheit in diesem Land, zu dem Attersee über die Jahrzehnte geworden ist, zum Gespräch trifft. Und von diesen Gesprächen über seinen Freundeskreis rund um die Wiener Schule, seine Musiker-Karriere trotz nahezu völliger Taubheit, seine geliebten Partnerinnen etc. gibt es zuhauf, nachzulesen u. a. in der überarbeiteten, tadellosen Attersee-Biografie, die heuer neu herausgegeben wurde. Denn heuer, genauer gesagt: heute, Freitag, ist Attersee 80. Wozu er hier selbst einmal nichts zu sagen braucht. Sondern ihm gesagt, ihm gratuliert werden soll.

Furiose, opulente Bildwelt

Man kann sich im furiosen Wust seiner opulenten Bildwelt – „neobarock“ nannte Peter Baum den Stil einmal – leicht verirren. Zu schnell ist sie als Atterseemalerei erkennbar geworden, auch wenn Attersee behauptet, dass er jedes Mal, wenn er den Pinsel in die Hand nimmt, die Malerei neu erfindet. Das mag für ihn stimmen, dem Beobachter wirkt sie in ihren kräftigen Farben, ihrem fantastischen Erzählreichtum, ihrem unverstellten Erotomanentum vertraut. Es ist allerdings kein Zufall, dass nach Jahrzehnten von Ruhe rund um Attersees Kunst, sie jetzt wieder zu provozieren vermag – denkt man an die Aufregung um das Plakat zum Frauenslalom am Semmering 2018. Direkt nach dem Skandal um sexuelle Belästigung im österreichischen Skisport schickte er darauf ausgerechnet eine nackte Skiläuferin den Hang hinunter. Das Timing hätte nicht schlechter sein können. Die Diskussion zeigte dennoch den heutigen politisch korrekten Meinungsterror und eine neue Prüderie auf, die gerade Attersee schwer traf, ist sein Werk zu Beginn sogar von einem metrosexuellen Spiel der Geschlechter, bis zuletzt zumindest durch eine geschlechtlich recht ausgewogen dargestellte Nacktheit durchzogen.

Aber man tut sich heute schwer mit allem, was nicht in einen (der vielen) Mainstreams passt. Dazu scheint altmodisch körperliche Erotik zu gehören. Oder (in der bildenden Kunst mittlerweile verpönter) künstlerischer Größenwahn, wie ihn Attersee etwa in einem Interview mit der „Presse“ zu seinem 65er äußerte: „Kunst ist eine dem Orgasmus überlegene Form, die Menschheit und die Geschichte zu verstehen. Man ist entrückt und zeitlos. Darum geht es in der Kunst – man ist gottgleich.“

Abgesehen vom bis heute anhaltenden, aggressiv lebensbejahenden Malereiorgasmus, besetzt vor allem Attersees Frühwerk eine mittlerweile unbestritten glänzende Rolle in der österreichischen Kunstgeschichte, wie man es in der Retrospektive im 21er Haus vor einem Jahr oder zur Zeit in der Albertina Modern sehen kann. Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: Neben Kiki Kogelnik ist er der bildmächtigste Pop-Art-Künstler, den wir je hatten, „Alpenpop“, wie Otto Breicha es nannte. Attersees Credo, den Alltag mit Kunst aus diesem selbst zu reißen, hat er schmerzbefreit bis zum kommerziellen Exzess durchgezogen – vom noch surrealistischen Attersee-Besteck über die originäre Attersee-Wurst bis zu Dutzenden Wein-Etiketts. Vielleicht ein guter Grund, heute eine dieser Flaschen zu öffnen. Vielleicht sogar den kostbaren, alten „Atterbitter“ – und das Stamperl zu erheben.

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