Ausstellung: "Selbst das Fadeste lässt sich zeigen"

Selbst Fadeste laesst sich
Selbst Fadeste laesst sich(c) AP (Eckehard Schulz)
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Inhalt und Exponate sind nicht alles: Die Wirkung einer Ausstellung hängt stark von ihrer Gestaltung ab. Kaum beachtet spielen hier viele Disziplinen zusammen – von der Architektur übers Design bis zur Dramaturgie.

Die Stadt Aschersleben steht auf einer Insel aus Plastikkanistern. Auf dieser wachsen Tafeln, Bildschirme, Podeste, Pulte. Aschersleben ist Teil eines Archipels, der mitten im berühmten Bauhaus Dessau liegt – bis zum 16. Oktober. Andere Inseln besetzen Städte wie Köthen oder Wanzleben. Nie davon gehört? Sie liegen in Sachsen-Anhalt und sind nicht nur klein, sondern schrumpfen auch, mit allen negativen Begleiterscheinungen. Genau das hat sie zum Ziel für das Großprojekt der „IBA Stadtumbau 2010“ gemacht.

Jahrelang wurden in 19 ostdeutschen Städten Projekte zu Themen wie Stadtform, Bildung, Identitätspolitik, bauliches Erbe und Landschaft gemacht. Heuer galt es, alles zusammenzutragen und als „Labor“ fassbar zu machen – in Ausstellungen jeweils vor Ort und in einer Überblicksschau der IBA Stadtumbau 2010 im Bauhaus Dessau unter dem Titel „Weniger ist Zukunft“. Gestaltet wurde Letztere von „Peanutz Architekten“, die schon öfter leichte Hand bei sperrigen Museumsthemen bewiesen, aber auch Almhütten auf Berliner Plattenbauten gepflanzt hatten. Meist spielte für das österreichisch-deutsche Kreativduo Wolfgang Grillitsch und Elke Knöß der „performative Zugang“ eine Rolle – „Interaktion mit dem Besucher, er wird Teil der Dramaturgie“, erklärt Grillitsch, der auch Professor für „Raum und Inszenierung“ an der Hochschule für Technik in Stuttgart ist.

Wie stellt man unterschiedlichste Projekte als Ganzes dar? Wie übersetzt man Massen an Information mit weniger Exponaten? Wie erzählt man schweren Stoff locker, aber mit Substanz und Spannung? Der Letzte, der sich das fragt, ist vermutlich der Besucher; der will etwas erleben, will begeistert werden. Und auch das Feuilleton betrachtet oft nur die ausgestellten Objekte, vielleicht das Konzept des Kurators. „Selten aber passiert wirkliche Ausstellungskritik und nicht nur eine Kritik der gezeigten Werke“, ziehen Luisa Ziaja und Beatrice Jaschke vom Netzwerk „Schnittpunkt“ Bilanz. Ihre Programmreihe „The Power of Display“ bringt Interessierten regelmäßig aktuelle Ausstellungen und Museen von ihrer Gestaltungsseite näher. Man diskutiert Theorie und Praxis: warum welche Effekte eingesetzt werden, was die Zusammenstellung der Exponate über sie erzählt – und wie alles wirkt.

Die kreative Umsetzung egal welchen Themas im Raum – mit Design, Grafik, Licht, Hightech – entscheidet ja darüber, wie das Gezeigte beim Betrachter ankommt. „Letztlich macht Gestaltung die Inhalte erfassbar“, setzt Jaschke nach. Beide kennen die Sicht vieler an der Ausstellungspraxis Beteiligter, denn sie managen den postgradualen Lehrgang „ecm“ („educating, curating, managing“) an der Universität für angewandte Kunst Wien.

Auch die Gestalter selbst erstaunt oft, wie wenig der lebhafte Diskurs über Ausstellungspraxis und Szenografie außerhalb der Fachwelt wahrgenommen wird. Wo es sich bei ihrer Arbeit doch um einen kreativen Akt an sich handelt. Einen, der alle Ausdrucksmittel rechtfertigt – „wenn sie adäquat sind“, betont Johann Moser, bildender Künstler und Ausstellungsgestalter von „BWM Architekten und Partner“. Manchmal könne ein einfaches Modell einer Sache besser gerecht werden als eine 3D-Visualisierung.

Im Volkskundemuseum in Graz, schildert Moser, reichte es etwa, Dirndlkleider kalt zu hinterleuchten, um ihnen den volkstümlichen Ballast zu nehmen. Im Münzkabinett im Grazer Schloss Eggenberg schafft es die kuriose Erzählung über zwei Münzbetrüger, die Sammlung auch für Laien spannend zu machen. Zudem wurde extra ein „Lupentool“ entworfen, mit dem sich der Betrachter gerne spielt: Fährt man mit dem Vergrößerungsglas über die Münzen, öffnet sich auf dem Display ein Fenster mit kurzen Infos.

Fake-Ausgrabung und Hochsitz. „Die Gestaltung soll dem Inhalt nicht die Show stehlen“, meinen auch die Peanutz Architekten. Jede noch so entlegene Idee müsse sich aus dem Inhaltlichen herleiten lassen. Also, wie war das noch einmal mit der Kanisterinsel bei der IBA-Ausstellung im Bauhaus Dessau? „Am Anfang war die Assoziation Labor–Kanister“, erklärt Grillitsch. Schließlich sollten die Städte und Themen ja als Labor dargestellt werden. Es kamen aber auch praktische Gründe ins Spiel. So einen Kanisterteppich könne man wie Lego-Platten schnell bestücken, ideal, wenn die Zeit drängt. Und der Nachhaltigkeitsgedanke wog auch schwer: „Es ist absurd, was nach einer temporären Ausstellung alles in der Tonne landet.“ So gehen nach der Ausstellung die Kanister wieder an den Hersteller retour.

An zwei weiteren IBA-Schauplätzen haben Knöß und Grillitsch Ausstellungen entworfen, „die sich selber abbauen“. Ihre Idee einer „Fake-Ausgrabung“ zeigt die Stadt Sangerhausen in ihrer archäologischen Zukunft. Aus lehmverputztem Stroh wurde ein Gräberfeld angelegt, und Vitrinen für die Objekte wurden eingebaut. „Danach wird es Kompost“. In Bernburg brachte sie das Thema Bildung auf die Idee, Wortbäume von den Einwohnern gestalten zu lassen. Dazwischen wurden Hochsitze gestellt, ganz wie im Wald. „Die Jäger haben sich schon ausgemacht, wer nach der Ausstellung welchen nimmt. Die Wortbäume werden woanders aufgestellt oder zu Brennholz gemacht. Den Rindenmulch verwendet die Stadt.“


Erzählen und inszenieren. Freilich herrschen hinsichtlich einer temporären Ausstellung wie dieser andere Gesetzmäßigkeiten als bei einer ständigen Sammlung im Kunstmuseum. Gleich bleibt aber der Anspruch spannenden Erzählens. Chronologie war da lange die Praxis: quasi von der Geburt bis zum Tod. Oder Dinge phänomenologisch zu gruppieren. Heute spielen ganz unterschiedliche kreative Zugänge eine Rolle, Installationen, Theatralisches. Viel ist derzeit von „Szenografie“ die Rede, die in Frankreich eine längere Tradition hat als hierzulande.

Grundsätzlich hat Ausstellungsgestaltung besonderes Potenzial und Anziehungskraft, weil in ihr verschiedenste Disziplinen zusammenlaufen. Grafik, Design, Bühnenbild, Museologie, Kunstgeschichte, neue Medien, Architektur, Computertechnik, Film, Musik: Nicht selten wird da der Ausstellungsgestalter zum Generalunternehmer. Denn im Idealfall wird er schon sehr früh in die Konzeption eingebunden, kann mit Kuratoren den Zugang erarbeiten, mit Wissenschaftlern schon die Exponate „sortieren“. Das bedeutet aber nicht zwingend, sich tief in die Materie hineinknien zu müssen. „Unsere Rolle ist die: Wir sind Stellvertreter des Laien. Wir müssen betrachten, wie sich etwas für jemanden darstellt, der keine Ahnung hat“, erklärt Johann Moser. Es sei ihre Aufgabe, die „Idee des Kurators kritisch zu befragen“, erläutert sein Architektenkollege Erich Bernard – und „mehrere Blickwinkel zu bedienen“. Erzählen auf mehreren Spuren, damit der Laie wie der Experte auf seine Kosten kommt. Im Übrigen gebe „es keinen Inhalt, der so fad ist, dass er nicht vermittelbar wäre“ – selbst das Fadeste ließe sich zeigen. Ihr Atelier, BWM, ist in Österreichs Ausstellungslandschaft schon lange präsent – etwa mit „Kampf um die Stadt“ (Wien Museum im Künstlerhaus) oder mit der niederösterreichischen Landesausstellung 2009. An einem Konzept für ein Museum eines Süßwarenherstellers wird gearbeitet, ein riesiges „Genussregal“ in der Südsteiermark soll im Herbst eröffnet werden. Ausstellungs- und Markenwelten funktionieren ähnlich.

Wer liest das alles? Vieles muss sich der Gestalter genau ansehen: Wie aufgeladen ist ein Raum – ein Schloss verstrahlt andere Atmosphäre als ein „White Cube“, ein nackter weißer Raum mit Oberlicht. Wie stark lässt sich ein aktueller Bezug herstellen? Gibt es viele Objekte, oder fehlen sie ganz? Das ist nur die eine Seite. Interessant ist, was der Besucher davon aufnimmt: Wenn etwa angeblich 90 Prozent der Wandtexte einer Ausstellung vergessen werden und dabei 90Prozent der Betrachter nur die ersten vier Zeilen lesen, dann hat das Auswirkung auf Inhalt und Typografie. „Trichterförmig“ sei man die Hierarchie der Texte bei „Kampf um die Stadt“ angegangen, erzählt Architekt Erich Bernard. Der Besucher war somit inhaltlich gut versorgt, wenn er sich in dieser als begehbarem Buch angelegten Ausstellung nur an die Headlines hielt. Manche aber kamen öfters, um alles zu lesen.

„Man weiß auch, dass Besucher unproportional viel Zeit in den ersten Räumen einer Ausstellung verlieren“, erklärt Knöß. So drehten die Peanutz Architekten im Bauhaus Dessau den Wegeverlauf durch die Ausstellung einfach um: Man startet am Ende und landet schließlich im ersten, im größten Raum, dem Highlight. Bei den Inseln aus Plastikkanistern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2010)

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