Autoren und das Virus

Warten auf den starken Corona-Roman

(c) REUTERS (Benoit Tessier)
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Was wurde aus der erwarteten „Welle“ an Covid-19-Literatur im Herbst? Nicht viel, trotz manchen Tagebüchern, Fortsetzungsromanen, Gedichten. Für Sinnstiftung durch Kunst braucht es eben Zeit: eine Zwischenbilanz.

Warum schreibt man Tagebuch?, wurde der deutsche Schriftsteller Uwe Johnson in einer literarisch prominent besetzten Diskussion einst gefragt. Johnsons Antwort: „Meiner Meinung nach schreibt jemand Tagebuch, wenn seine Beziehungen zu seiner Umwelt eingeschränkt sind oder behindert.“ Sein Kollege Lars Gustafsson stimmte zu: „In irgendeiner Weise muss etwas gestört sein, um ein Tagebuch zu verursachen.“ Man bekomme dadurch „ein größeres Realitätsgefühl“. Und Elias Canetti warf ein, ihm helfe Tagebuchschreiben gegen das Gefühl, „viel zu stark zu existieren, von zu vielen Eindrücken unaufhörlich überrumpelt“ zu werden. Man könne sich damit „beschwichtigen“. Eingeschränkte Beziehungen zur Umwelt, Überrumpeltwerden durch die Realität, zugleich ein Gefühl des Irrealen: 1972 haben diese Autoren damit schon bestens begründet, warum mit Beginn der Coronakrise im März 2020 ein Boom öffentlichen Tagebuchschreibens eingesetzt hat.

Besondere mediale Beachtung erhielten dabei die öffentlichen Tagebücher von Schriftstellern, ob als Einzelerzeugnisse oder kollektive Unterfangen (Letzteres etwa in Form der vom Grazer Literaturhaus initiierten Corona-Tagebücher). Wie viel aber hatte diese Zeitzeugenschaft mit Literatur zu tun? Es ist erstaunlich, wie „alt“ die literarische Bewältigung des Lockdowns aus den ersten Monaten bereits jetzt wirkt. Als ginge uns das alles gar nicht mehr so viel an. Autoren lieferten Momentaufnahmen, engagierten sich wie andere auch. Etwa die chinesische, in Wuhan lebende Schriftstellerin Fang Fang in ihrem hoch interessanten, erst online geführten, im Sommer dann in etlichen Sprachen veröffentlichten „Wuhan-Tagebuch“.

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