Rehabilitation: Wenn aufrecht sitzen ein Erfolg ist

Wer nach einem Schlaganfall nicht hilflos bleiben will, braucht professionelle Hilfe, Geduld und Spender. Im „Therapiezentrum für halbseitig Gelähmte“ in Wien-Liesing wird Rehabilitation im Kleinen gepflegt.

WIEN. Ein selbst gebackenes Nusskipferl mag fein sein. Es geht aber auch ohne. Ohne selbst gestrichene Brote wird es aber eher schwierig. Herbert Zellhofer übt das eine, um das andere wieder zu können. Nach einem Schlaganfall ist einer seiner Arme gelähmt, und er hat Probleme mit dem Sprechen. Das Backen hilft ihm, beides zu überwinden. Sigrid Brugger könnte mit ihrem Schützling theoretisch auch den Ölstand eines Autos messen. Wichtig ist nur, dass er – unterstützt durch die Hände der Therapeutin – die Kipferln selbst wickelt und jeden Vorgang, so weit es geht, laut mit ihr bespricht.

Die Übungsküche steht im „Therapiezentrum für halbseitig Gelähmte“ in Wien-Liesing. Dort wird Rehabilitation im Kleinen gepflegt. Sie bewirkt oft mehr als wochenlange stationäre Aufenthalte. 1981 wurde das Zentrum als private Initiative gegründet und ist auch heute noch das einzige ambulante Rehab-Zentrum für neurologische Patienten im Osten Österreichs. 1100 Patienten wurden in den letzten 15 Jahren dokumentiert. 79 sind es derzeit. Es könnten um mindestens 45 mehr sein. Doch die stehen vorerst noch auf der Warteliste.

Kostendeckung unmöglich

Mehr Patienten kann sich das Zentrum nämlich schlicht nicht leisten. Nicht weil die 13 Therapeutinnen auf den 250 Quadratmetern überfordert wären. Es liegt vielmehr daran, dass dem Gesundheitssystem ein derart effizientes Kleinsystem nicht genug wert ist. Und so geht die Rechnung eben nicht auf. Für eine 60-Minuten-Therapie bekommt der Verein von den Krankenkassen 40 Euro bezahlt, das sind nur 80 bis 85 Prozent der tatsächlichen Kosten. Auf diese Weise summiert sich das Minus pro Jahr auf 80.000 Euro. Ausgeglichen wird es durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und den Fonds Soziales Wien. „Wenn wir nicht so viele ehrenamtliche Helfer hätten, bräuchten wir noch mehr“, sagt Günter Lenhart, Obmann des Vereins.

Dass das so ist, versteht Lenhart nicht: „Wir schaffen es, viele Patienten wieder berufsfähig oder zumindest so selbstständig zu machen, dass sie sich wieder allein versorgen können. Das spart schließlich auch Pflegegeld.“ Christine Schreiner, die therapeutische Leiterin des Zentrums, gibt zu bedenken, dass man damit nicht nur alten Menschen das Leben erleichtert. Es gibt immer mehr Junge, auch Kinder mit Gehirnblutungen und Schlaganfällen. „Vor allem deswegen, weil die medizinische Versorgung besser wird und immer mehr Menschen überleben.“ Wie sie dann weiterleben, ist dem System offensichtlich weniger wichtig und bleibt zähe Arbeit im Hintergrund. Im Therapiezentrum, aber auch bei Hausbesuchen, wird Betroffenen gezeigt, wie sie allein die Badewanne benutzen können oder wie sie richtig auf dem Sofa sitzen.

Oder wie man wieder das nötige Gleichgewicht fürs Gehen findet. Bei Wolfgang Röhrl ist das ein mittlerweile zweieinhalbjähriger Prozess. Der 41-Jährige wurde jäh aus einem Tauchurlaub auf den Malediven gerissen. Noch dazu glaubte man am Urlaubsort, wie auch zurück in Österreich, fatalerweise an einen Tauchunfall. Die neurologische Behandlung setzte mit tagelanger Verspätung ein. Röhrl musste in monatelangen Aufenthalten in Rehab-Kliniken erst wieder das Sprechen lernen. Physiotherapeutin Kathrin Fischer arbeitet nun noch an seinen motorischen Fähigkeiten.

Sinnlose Schnelltherapien

Röhrl will irgendwann wieder große Kristallluster produzieren wie früher, zumindest wieder einer Arbeit nachgehen. Derzeit ist er schon zufrieden, dass er sich zu Hause alles selbst machen kann. Und das hat zu einem Gutteil mit dem Liesinger Tageszentrum zu tun. Hier, findet Röhrl, sei die Betreuung einfach besser, weil intensiver. Anderswo werden die Einheiten aus Kostengründen auf 30Minuten reduziert. In Liesing arbeitet man nur 60 Minuten mit den Patienten, weil man kürzere Phasen für ineffizient hält.

Auch Rudolf Mattes ist begeistert. Er sitzt im Werkraum nebenan und trainiert seine Feinmotorik. Er muss unter Anleitung von Steffi Putz 3-D-Würfel mit Spielsteinen nachbauen. Das Schwierige daran: Einmal benutzt er die schlechtere, dann die bessere Hand. An anderen Tagen wird die Waschmaschine befüllt, das Bügelbrett verwendet oder der Laptop bedient. Mattes schafft das, obwohl er schon 2004 und 2007 einen Schlaganfall hatte und nicht mehr der Jüngste ist. Und er kommt allein mit dem öffentlichen Bus aus Favoriten zur Therapie. Darauf ist er besonders stolz – und seine Therapeutin auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2010)

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